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Hans-Dieter Krönung

„Edle strebt nach Harmonie, nicht nach Gleichheit.

Der Gemeine strebt nach Gleichheit, nicht nach Harmonie.“

(Konfuzius)

Uns allen ist Pythagoras als derjenige Philosoph und Mathematiker bekannt (obwohl das im klassischen Griechenland noch ein und dasselbe war), der den nach ihm berühmten Satz über die gleichschenkligen Dreiecke formuliert hat.

Aber es gibt auch die Geschichte, nach der er auch die Harmonielehre erfand. Angeblich kam ihm der Gedanke für die Analyse von Harmonie bei einem Schmid, als er dort den harmonischen Klang von fünf Hämmern hörte.

Er widmete sich fortan der Analyse von Tönen und erkannte bald quasi mathematische Muster. Wird bspw. eine einzige Saite über einen Resonanzkasten gespannt und die Sehne gezupft, so gibt sie einen einzelnen Ton von sich. Wird die Länge der schwingenden Sehne verkürzt, so wird der Ton höher. Wird die Sehne z.B. halbiert, entsteht ein höherer Ton, und zwar exakt eine Oktave höher. Pythagoras hatte also einen Zusammenhang zwischen geometrischen und klanglichen Phänomenen entdeckt.

Die gewaltige Unterschiedlichkeit von Tönen konnte damit gewissermaßen in arithmetischen Strukturen abgebildet werden und führte Pythagoras zu der Vermutung, dass die mathematische Beschreibung aller Phänomene im Grunde auch ihr Wesen ausdrückt. Mit anderen Worten: Pythagoras gelangte zu der Auffassung, dass die Idee der Zahl einen Schlüssel zum Verständnis der natürlichen Welt darstellen würde.

Auf den Erkenntnissen, die Pythagoras aus seiner Harmonielehre zog, basierte in den folgenden Entwicklungen auch die Vorstellung der „kosmologischen Vierheit“, d.h. die ersten vier Zahlen (1,2,3,4) beschreiben demnach die vier Dimensionen Punkt, Linie, Fläche und Raum, also alle geometrischen Elemente der natürlichen Welt. Und es konnte zudem kein Zufall sein, dass die Summe dieser Zahlen 10 ergibt, die Basis für alles weitere Zählen.

Einer der Nachfahren Pythagoras`, der Philosoph Boethius, griff das Beispiel der Hämmer in der Pythagoras-Geschichte der Harmonie auf, weil man berechnen konnte, dass der Klang von vier unterschiedlich schweren Hämmern, deren jeweiliges Gewicht in einer bestimmten Relation zueinander standen, einen harmonischen Vierklang erzeugen. Vier Hämmer, deren Gewicht in einem spezifischen mathematischen Verhältnis zueinanderstehen, erzeugen somit einen harmonischen Klang.

Boethius wies jedoch auch auf einen besonderen Mangel der Pythagoras`schen Geschichte hin, nämlich die Aussage, dass dieser fünf Hämmer gehört habe. Wenn aber die mathematischen Gesetze der Harmonie nur bei vier Hämmern gelten, musste sich Pythagoras entweder geirrt haben oder die Harmonielehre der Vierheit war unvollständig oder gar falsch. 

Wie in der Wissenschaft über alle Zeiten hinweg üblich, wurde der fünfte Hammer in der Folge ignoriert, weil er nicht in die Harmonielehre passte. Es ließen sich keine Berechnungsmodelle mit fünf unterschiedlichen Hämmern finden, die gemeinsam einen harmonischen Vierklang erzeugten. 

Ähnlich ging Adam Smith vor, als er die Gesetze der Nationalökonomie studierte und versuchte, Gesetzmäßigkeiten zwischen Angebot und Nachfrage, zwischen Ressourcen und Erträgen zu formulieren. Alle Studenten der Wirtschaftswissenschaften erinnern sich an seinen Kunstgriff der „Invisible Hand“, jener nicht definierbaren und nicht greifbaren Kraft, die im Smith` Modellen dafür sorgt, dass sich die einzelnen Faktoren mit ihren z.T. widerstrebenden Interessen am Ende harmonisch zusammenfinden.

Gleiches gilt für den „Homo oeconomicus“, der immer rein rational seine Entscheidungen trifft und somit in seinem Verhalten perfekt prognostizierbar ist.

Auch die moderne Entscheidungstheorie, auf der, nebenbei bemerkt, die meisten Risikomodelle bei Banken basieren, versucht, aus Vergangenheitswerten Prognosen für die Zukunft zu erstellen, indem sie mögliche Szenarien und ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten formuliert und extrem unwahrscheinliche, aber sehr folgenschwere Ereignisse eliminiert. Wer die Entstehung der großen Finanzkrise 2007ff. analysiert hat, der weiß, warum Talebs Buch vom „Schwarzen Schwan“ ein solcher Kassenschlager wurde und genau diesen Titel trägt.

Die Physikerin Kitty Ferguson hat dazu einmal bemerkt, dass Wissenschaftler dazu tendieren, „harmonische“, also eingängige Theorien deutlich eher als wahr einzustufen als weniger eingängige, also „disharmonische“, und sie zitiert Stephen Hawking, der einmal hintergründig fragte, warum sich wohl das Universum „der Mühsal seiner Existenz unterzöge“.

Pythagoras` fünfter Hammer steht sinnbildlich für das, was mathematische Modelle zu dem macht, was sie sind: Theorien über die Wirkungszusammenhänge in der realen Welt. Mehr noch: Der fünfte Hammer ist das Symbol einer Neigung, die Dinge, die nicht in ein vorformuliertes Weltbild passen, zu eliminieren bzw. für bedeutungslos zu erklären. Statt also Energie in die Durchdringung „störender“ Beobachtungen oder Entscheidungsparameter zu stecken, werden diese zunächst außen vor gelassen.

Der Nationalökonom Wilhelm Röpke, einer der Väter der „Sozialen Marktwirtschaft“ hat dazu bereits 1943 bemerkt: „Es muss also jedem einleuchten, dass, wie auch immer wir die Wirtschaft organisieren, Störungen in einem Wirtschaftssystem unausbleiblich sind, das auf einem so ungeheuer komplizierten Ineinandergreifen unzähliger Einzelglieder beruht, das eine solche innere Abhängigkeit aller Teile aufweist, das von so vielen Voraussetzungen beherrscht wird, das in ein solches Netzwerk internationaler Beziehungen verstrickt ist und sich einer so hochentwickelten, zeitraubenden Technik verschrieben hat, wie es die moderne Menschheit getan hat“. 

Röpkes Schlussfolgerung, die ich auch heute noch als uneingeschränkt gültig ansehe, lautet daher auch, dass die Fähigkeit eines Wirtschaftssystems (und eines jeden Unternehmens), auf Störungen schnell und gezielt zu reagieren, über seine Überlebensfähigkeit entscheidet.

In allen Wirtschaftsunternehmen werden Pläne gemacht, Szenarien entwickelt und Strategien formuliert. Und oft sind diese Pläne so perfekt, dass sie nur von der Realität gestört werden können. Die Faszination der mathematischen, modellhaften Durchdringung der Realität resultiert aus einer Illusion, der Illusion der Beherrschbarkeit.

Auch Manager streben nach Harmonie, nach der Harmonie zwischen Planung und Realität. Und sehr viele Manager sehen in der Nicht-Erfüllung ihrer Pläne eine „Störung“, meistens durch Mitarbeiter, die diese Pläne nicht 1:1 umsetzen. Auch an strategischen Plänen, die weit verfehlt werden, wird zu oft zu lange festgehalten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Theorien sind Modelle, und Modelle sind der Versuch, die Komplexität der Realität einzufangen und gestaltbar zu machen. Eine Kundensegmentierung, so detailliert und wissenschaftlich untermauert sie auch sein mag, ist immer falsch, denn eine vollständig zutreffende Segmentierung müsste streng genommen aus jedem Kunden ein eigenes Segment machen, denn jeder Kunde hat im Detail wieder andere Bedürfnisse.

Das bedeutet nicht, dass eine Kundensegmentierung nutzlos ist, sondern nur, dass man nicht den Fehler machen darf, das Modell mit der Realität zu verwechseln und der Illusion zu folgen, man wisse schon, ohne mit dem Kunden gesprochen zu haben, was er denn brauche.

Unsere Neigung zur Harmonie birgt die Gefahr in sich, nach Vereinfachungen und nach Modellen zu streben, denn, wie Röpke sagte, die Realität ist so ungeheuer komplex und dynamisch, dass sie niemals einzufangen ist.

Der strategische Kern-Erfolgsfaktor der Zukunft ist daher nicht der ausgefeilte Plan, sondern die Fähigkeit, sich unter Beibehaltung der Gesamtziele immer wieder anpassen zu können (und zu wollen).

Wir müssen lernen, auf die „Störungen“ zu achten, denn sie sind Indikatoren der Anpassungsnotwendigkeit.

Dies ist auch der Grund, warum Kultur und Kommunikation eben nicht nur „Zusatz-Erfolgsfaktoren“ sind, die man auf Personalversammlungen und in Festschriften beschwört. „Offene“ Kulturen, die dazu führen, dass sich jeder Mitarbeiter mitverantwortlich für das ganze Unternehmen fühlt und entsprechend aufmerksam und unmittelbar kommuniziert, sind leistungsfähig, weil sie die Reaktionsfähigkeit eines Unternehmens maximieren.

Es ist eine Illusion, wenn der Vorstand eines Unternehmens glaubt, schneller und besser als seine Mitarbeiter einschätzen zu können, was die Kunden und der Markt brauchen und wie man am besten darauf reagieren kann. Es kann natürlich sein, dass die Informationen, die bspw. durch die Mitarbeiter im Vertrieb weitergegeben werden, das Bild der Führung „stören“, weil sie nicht zu dem passen, was man erwartet oder gar geplant hatte.

Wenn die Diskrepanz zwischen Führung und Belegschaft zu groß wird, reißt der Kommunikationsfaden. Die Führung fokussiert sich auf Pläne und Statistiken, die Belegschaft auf das operative Tagesgeschäft. Unternehmen, die in dieser Form agieren, werden fragil, denn sie verlieren ihre Fähigkeit zur frühzeitigen „Störungserkennung“ und dann auch ihre Reaktionsgeschwindigkeit.

Auch insofern gefällt mir die Geschichte vom „fünften Hammer“. „Offene“ Kulturen in dem beschriebenen Sinn sind nämlich immer wieder einmal disharmonisch, um dann auch wieder gemeinsam nach gelösten Problemen Harmonie finden zu können.

Schlimm wird es, wenn die Harmonie zum Selbstzweck wird, weil man jede Disharmonie als „Störung“ unbedingt vermeiden will. In den bestgeführten Organisationen müssen auch einmal die sprichwörtlichen Fetzen fliegen, weil sich viele Menschen mit unterschiedlichen Ideen zum Wohl des Ganzen einsetzen wollen und die „Harmonisierung“ dann eben nicht störungsfrei vonstattengehen kann.

Umgekehrt ist Disharmonie auch kein Selbstzweck, denn der Streit um des Streites willen kann auf Dauer nicht produktiv sein, weil dauerhafte Disharmonie eigentlich immer nur auf Egoismus gründen kann.

Es geht also vor allem darum, die Fähigkeit zu entwickeln und immer weiter zu verbessern, auf Veränderungen zu reagieren. Pläne zu erarbeiten und Pläne anzupassen ist demgegenüber eine eher triviale Aufgabe.

Planabweichungen zu verstehen und auf ihre Ursachen zurückzuführen, ist nur die „halbe Miete“. Dankbar zu sein, dass es Störungen, Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten gibt, die Energie erfordern, sich mit ihnen auseinander zu setzen, ist die Einstellung, die man dazu braucht. Das ist für manchen „Modell-Athleten“ noch ein weiter Weg. Da hilft vielleicht auch mal der „fünfte Hammer“.        

 

Herzliche Grüße aus Brand    

Hans-Dieter Krönung

 

 

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