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Hans-Dieter Krönung

„Eine der verbreitetsten Krankheiten ist die Diagnose“

(Karl Kraus)

Das eigentlich Undenkbare ist passiert. Zum zweiten Mal nach 2007 trifft uns der „Schwarze Schwan“, also ein Ereignis, von dem die überwältigende Mehrheit der Menschen bis dato annahm, es könnte „eigentlich“ niemals eintreten.

In der Finanzkrise wurde u.a. deutlich, dass die Risikomodelle der Banken insofern fehlleitend waren, als sie zwar katastrophale Ereignisse enthielten, diese aber mit einer so geringen Eintrittswahrscheinlichkeit gewichteten, dass sie für die Entscheidungsfindung nicht einbezogen wurden. Der fatale Kollateralschaden der Finanzkrise entstand vor allem, weil niemand auf den Extremfall vorbereitet war und man sich im „Learning by doing“ üben musste. Im Nachgang zu den Ereignissen, die die Welt nachhaltig veränderten, gehören die Niedrigzinsphase, die Regulatorik und die gestiegene Skepsis gegenüber der Finanzindustrie mittlerweile zum normalen Alltag.

Ich hoffe nicht, dass in den kommenden Monaten und Jahren bewiesen werden muss, ob die Lehren, die aus der Finanzkrise gezogen wurden, die richtigen waren, aber ich gestehe, dass ich davon ausgehe, dass es wieder um Krisenbewältigung gehen wird.

Die Corona-Krise ist ihrem Charakter nach ähnlich einzustufen, wenn auch mit viel weitergehenden und schlimmeren Konsequenzen. Auch für diese Krise gilt, dass sie in unseren Köpfen als extrem unwahrscheinlich eingeschätzt wurde und nun alle Verantwortungsträger wiederum „Learning by doing“ praktizieren. Die Unsicherheit ist mit Händen zu greifen; Notfallpläne überall.

Aber getreu dem Motto „In every difficulty lies opportunity“ bietet auch diese Krise wieder Chancen, von denen ich eine hervorheben möchte.

In den deutschsprachigen Ländern, vor allem in Deutschland und Österreich, wird der Bankenmarkt von Verbundbanken, also Sparkassen bzw. Volks- und Raiffeisenbanken dominiert. In Deutschland wickelt die Sparkassen-Finanzgruppe allein etwa 50% des Zahlungsverkehrs ab.

Ich habe in vielen „Standpunkten“ thematisiert, dass die Organisationsform der Verbünde vielen Außenstehenden, nicht nur den direkten Wettbewerbern, ein Dorn im Auge ist.

Verbünde sind in ihren Entscheidungsprozessen selbst für Insider mitunter schwer nachvollziehbar und die teilweise Verquickung von staatlichen und wirtschaftlichen Interessen hat zu zahlreichen Untersuchungen und zu Vorwürfen der Wettbewerbsverzerrung, bis nach Brüssel, geführt.

Nicht zuletzt gilt vielen „Experten“ das Modell der „Ortsbank“, also der regional ausgerichteten Regionalbank, als antiquiert und wenig leistungs- und überlebensfähig.

In vielen Zukunftsmodellen gehören die Verbundbanken daher zur Verlierergruppe, ersetzt durch hocheffiziente Finanzkonzerne für Zahlungsverkehr und andere Standard-Dienstleistungen oder durch Non- und Nearbanks, FinTechs oder Lösungen, die wir heute noch gar nicht kennen. Der Weg in den Niedergang scheint für viele neutrale Beobachter vorgezeichnet.

Diese Sicht auf die Entwicklungen grenzt an das, was Karl Popper „Historizismus“ nennt, nämlich die Überzeugung, die er in der kommunistischen Doktrin erkannt hatte, dass der Welten Lauf vorgezeichnet sei und man sich daher nur auf ihn einstellen, ihn aber nicht beeinflussen könne.

Krisen, wie wir sie erlebt haben und wie sie sich jetzt wieder einstellen, sind Gott sei Dank keine Zeiten für Modelle oder den Historizismus, sondern Zeiten, in denen Menschen anpacken und Lösungen finden müssen, die dann mitunter den Zug der Zeit in eine ganz andere als die prognostizierte Richtung fahren lassen.

Es geht in der Corona-Krise auch darum, die Leistungsfähigkeit von Systemen zu testen. Wir erleben gerade die Kapitulation des italienischen und teilweise auch des französischen Gesundheitssystems und hoffen inständig, dass die Beteuerungen der hiesigen Politiker und Gesundheitsexperten zutreffen, dass Deutschland und Österreich deutlich besser aufgestellt sind und wir deshalb bei weiten nicht die Anzahl von Toten zu beklagen haben werden wie in diesen Ländern. 

Für die Bewältigung der dramatischen wirtschaftlichen Konsequenzen durch Corona gilt das gleiche. Es geht jetzt darum, Elastizität zu beweisen. Was bedeutet das?

Die Politik hat auf die wirtschaftliche Katastrophe mit gigantischen Hilfspaketen reagiert und die Banken haben hoch und heilig versprochen, bereitwillig zu helfen und an „ihre Grenzen“ zu gehen.

Unter „Elastizität“ verstehe ich jetzt die Fähigkeit eines Systems, auf die zeitlichen Verzerrungen, die zwischen den Hilfspaketen und der individuellen Notsituation eines Menschen bzw. eines Unternehmens zwangsläufig liegt, zu reagieren, indem vor Ort bereits Linien eingeräumt und damit Liquidität bereitgestellt wird, ohne dass bereits im Detail klar ist, welcher Kunde welchen Anspruch an staatlichen Hilfen letztendlich hat.

Man kann, wie gewohnt, hinter jeder Linienausweitung bewährte Absicherungsmodelle wie Bürgschaften etc. stellen, oder man erweitert bei Kunden, mit denen man über viele Jahre gut gearbeitet hat, den Hebel zu Lasten der eigenen Risikoabsicherung, denn viele Kunden, die jetzt in Liquiditätsnöte kommen, sind langjährige Stammkunden und haben eine besondere  Krisenbehandlung verdient, weil man davon ausgehen kann, dass sie in wieder normalisierten Zeiten auch wieder stabile wirtschaftliche Situationen aufweisen werden. Dieses Verhalten wichtigen und treuen Kunden gegenüber wäre ein Signal von großer Strahlkraft.

Dies alles geht in einem System mit dezentraler, unternehmerischer Verantwortung deutlich leichter als durch behördlichen Zentralismus. Es müsste also „eigentlich“ so sein, dass die Verbundorganisationen mit ihren Vor-Ort-Unternehmern deutlich schneller und effektiver handeln können als die ordnungspolitisch zentral geregelten Finanzkonzerne.

Diese Elastizität zu zeigen wäre die historische Chance, sich wieder in die Herzen der Menschen hinein zu bewegen, weil man ihnen mit allen Kräften in der wahren Not geholfen hat. Ich erinnere mich an eine kleine österreichische Sparkasse, bei der jeder Filialleiter schon seit jeher einen „Not-Fonds“ hat, aus dem er frei entscheiden kann, Bedürftigen, Kunden oder Nicht-Kunde (!), finanziell zu helfen. Stellen Sie sich vor, dass in der Nachbargemeinde überraschend der Mann stirbt und die verbliebene Ehefrau erst einmal nicht weiß, wie die Beerdigung zu bezahlen sei. Wenn dann der Filialleiter der Sparkasse kommt, der Ehefrau das Geld für die Beerdigung gibt, das nicht zurückgezahlt werden muss, dann passiert in den allermeisten Fällen etwas mit den Menschen, die von dieser Aktion Kenntnis erlangen. Nicht ohne Stolz berichtete mir der Vorstandsvorsitzende dieser Sparkasse, man habe in der Region „einen Ruf wie Donnerhall“, was sich übrigens auch in den Betriebsergebnissen widerspiegelt.

Es besteht also eine gewaltige Chance, mit einem Kraftakt der Menschlichkeit den eigentlichen Sinn dezentraler Finanzsysteme wieder in den Köpfen der Kunden zu verankern, nämlich die „Nähe“, womit nicht nur die räumliche, sondern vor allem die emotionale Nähe gemeint ist. Die Bank, die vor Ort in die Sozialgefüge eingebettet und die wie alle ihre Kunden von Katastrophen und Problemen betroffen ist, die mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hilft und ihre eigene Profitabilität in den Hintergrund stellt, beweist ihren großen Wert jenseits der Digitalisierung und der Kampfkonditionen der Wettbewerber.

Emotionale Nähe können Finanzkonzerne nur sehr schwer aufbauen, denn sie haben nur die Möglichkeit, über besonders engagierte Mitarbeiter persönliche Beziehungen zu schaffen, die sich dann auch auf die Loyalität dem Unternehmen gegenüber ausdehnen kann. Eine „institutionelle“ Nähe durch Verankerung in einer Region ist für Sparkassen und Genossenschaftsbanken quasi dann und deshalb in diesen Zeiten ein entscheidender Wettbewerbsfaktor.

Die überregionalen Wettbewerber können nur hoffen, dass sich der „Virus“ der betriebswirtschaftlichen Renditeoptimierung schon so weit in die Management-Etagen der Regionalinstitute ausgebreitet hat, dass sie diese historische Chance nicht erkennen und stattdessen das Eigen- vor das Gemeinwohl-Interesse stellen.

Es bedarf einer bestimmten Einstellung zu seiner Aufgabe, um als Regionalinstitut wirksam Elastizität zu leben. Leider hat in den vergangenen Jahren das Gedankengut der betriebswirtschaftlichen Optimierung stark die Oberhand gewonnen, so dass zu befürchten ist, dass so manche Regionalbank agiert wie ein „Mini-Konzern“, d.h. bürokratisch und an formalen Vorgaben ausgerichtet, um die eigene Bilanz zu schonen.

Ich räume ein, dass die vergangenen Jahre der Nach-Finanzkrise eine stärkere betriebswirtschaftliche Fokussierung im Management erforderlich gemacht haben. Aber leider geht mit dieser Fokussierung auf die Rendite häufig die Leidenschaft für den  eigentlichen Sinn der Existenz der Regionalbank verloren, nämlich die Sicherstellung der Gemeinwohlorientierung bei Sparkassen und die Hilfe zur Selbsthilfe bei den Genossenschaftsbanken. Das ist ja die Crux bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Managements bspw. einer Sparkasse: Ist es der Ausweis der besonderen Leistungsfähigkeit des Managements, wenn die Rendite überdurchschnittlich hoch ist oder, wenn sich die Lebensumstände in der Region durch das Engagement der Sparkasse außergewöhnlich gut entwickelt haben?

Jetzt steht der „Proof of Concept“ an, national wie international. Wenn es den deutschen und österreichischen Verbundorganisationen gelingt, flächendeckend Elastizität zu leben, sie erfahrbar zu machen und damit Existenzen zu retten, dann wird dieser Wettbewerbsvorteil auf Jahre hinaus nicht aufzuholen sein. Wenn man nur bedenkt, was die Banken investieren, um wieder intensiv in den persönlichen Kontakt mit ihren Kunden zu treten, so mutet diese Krise, so grausam sie an anderer Stelle ist, fast wie ein Geschenk an, das man nutzen muss. Und vielleicht wird manch ein „Experte“ seine Modelle nach der Krise wieder adjustieren und den Wert persönlicher Nähe anders einwerten, auch in Brüssel.

Es wird nicht ohne Opfer abgehen, das ist klar. Aber wenn das Finanzwesen, vor allem die Verbundorganisationen, diese historische Chance nicht erkennen oder sie durch Fokussierung auf Eigeninteressen „versemmeln“, dann muss man vielleicht doch den Untergangs-Protagonisten zustimmen. Wenn die Verbünde jetzt nicht uneigennützig helfen, dann ist ihnen wohl nicht mehr zu helfen.

Einen kleinen Tipp habe ich noch für alle Manager von Regionalbanken, die angesichts der Krise jetzt hin- und hergerissen sind zwischen der möglichen Hilfe für die Menschen in der Region und der nächsten Bilanz: Mit Verweis auf die Corona-Krise werden in den kommenden 2-3 Jahren (fast) alle Bilanzen glaubhaft zu erklären (entschuldigen) sein. Auch darin liegen wieder Chance und Risiko; so ist das eben im Management.

Auf geht´s ….  

Herzliche Grüße aus Brand, bleiben Sie gesund und elastisch

Hans-Dieter Krönung

 

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