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Hans-Dieter Krönung

„Was der Esel sagt, glaubt er.“

(Persisches Sprichwort)

Die Kunst der Rede, so schrieb kürzlich die FAZ, sei wieder in Verruf geraten, seitdem Menschen wie Donald Trump Sprache und Wahrheit gezielt voneinander trennen würden.  Fachleute für Rhetorik verweisen dabei gerne auf die griechische Antike und den Diskurs zwischen Platon und Sokrates, weil Platon seinem Pendant vorwarf, die Rhetorik der Sophisten (Anhänger Sokrates`) habe sich vom Anspruch, die Wahrheit zu finden, verabschiedet.

Seitdem wird in der wissenschaftlichen Diskussion über Rhetorik immer auch die Frage erörtert, inwieweit es legitim sei, die Kunst der Rede primär zum Zweck der Meinungsbeeinflussung und eben nicht zur Vermittlung von Wahrheit einzusetzen („Fake news“).

Ein aktuelles Beispiel, das uns allen noch gegenwärtig ist, war die Diskussion über den Brexit in Großbritannien. Es war bereits damals deutlich, dass mit gezielten Falschaussagen das Meinungsbild im Land beeinflusst werden sollte, was schließlich ja auch gelang. Mit dem Fortgang der Erkenntnisse im Rahmen der Verhandlungen ist offensichtlich vielen Briten klar geworden, dass sie ganz offensichtlich belogen worden waren. Ob diese Erkenntnisse dazu führen, eine Mehrheit für ein nochmaliges Referendum zusammen zu bringen, muss abgewartet werden.

Die gängige wissenschaftliche Meinung jedenfalls ist, dass man der Rhetorik Unrecht tun würde, sie als bloßes Hilfsmittel der Wahrheitsfindung herabzuwürdigen. Rhetorik hat den Anspruch, einen eigenständigen Bewertungsrahmen zu besitzen. Nach dieser Vorstellung muss es das Ziel einer Rede sein, als sinnvoll erachtete Überzeugungen möglichst erfolgreich vermitteln zu helfen.

Insoweit würde die Beurteilung einer Goebbels-Rede in Nürnberg unter moralisch-ethischen Bewertungsnormen anders ausfallen als unter rein rhetorischen. Eine Rhetorik, die „nur“ auf Argumenten basiere, so die gängige Einschätzung, könne den unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen vieler Hörer nicht gerecht werden, weshalb Schlüsselbegriffe, Bilder, Assoziationen und andere Hilfsmittel eingesetzt werden müssten, um Botschaften auch wirkungsvoll vermitteln zu können.

Es ist eine komplexe und spannende philosophische Frage, an welchen Wertmaßstäben sich Rhetorik zu orientieren hat und wo die Grenzen sind, die man mit beeinflussender Wort- und Bilderwahl überschreitet.

Man muss natürlich dabei immer bedenken, dass sich die wissenschaftliche Arbeit immer primär mit der Frage der bewussten Nutzung von Rhetorik befasst, d.h. das zugrundeliegende Betrachtungsmodell ist das des bewusst Entscheidenden, der Begriffe auswählt, um eine bestimmte Botschaft zu platzieren.

Es ist aber auch der umgekehrte Fall zu beobachten, dass nämlich quasi selbstverständlich mit bestimmten Begriffen operiert wird, die in sich aber keineswegs so eindeutig sind, dass keine Missverständnisse entstehen können. Ich möchte das an einem der selbstverständlichsten Begriffe unserer finanzwirtschaftlichen Wirtschaftsrhetorik verdeutlichen, dem Begriff des „Kunden“.

Ein ganz wesentlicher Anteil der „Forschungsarbeit“ in unserer Industrie befasst sich mit der Frage, was „der Kunde“ eigentlich möchte. Wir beobachten verändertes „Kundenverhalten“, sehen den „hybriden Kunden“, der Omnikanal-fähig kommunizieren möchte, und sehen den Siegeszug der „Customer-Journey“, also das Muster-Kaufverhalten der „Muster-Kunden“.

Folgerichtig beginnen fast alle Marktbearbeitungskonzepte mit dem einführenden Satz: „Der Kunde ….“. Dabei ist schon allein die Frage spannend, was mit dem Begriff „der Kunde“ gemeint ist. Ist der „Kunde“ einer Bank derjenige, der ein Girokonto bei der Bank unterhält, auch wenn er dieses nicht aktiv nutzt? Sind also folgerichtig alle Menschen, die eine Kundennummer bei einer Bank besitzen, auch als deren „Kunden“ zu bezeichnen? Oder sind nicht eher alle diejenigen Menschen als „Kunden“ zu bezeichnen, die auch regelmäßig aktiv mit einem Bankmitarbeiter kommunizieren und nicht nur die Automaten nutzen?

Würde der Betreiber des Döner-Ladens an der Ecke alle Menschen, die jemals in seinem Laden einen Döner gekauft haben, als seine „Kunden“ bezeichnen? Oder wären nach seinem Verständnis nur diejenigen Menschen „Kunden“, die regelmäßig zu ihm kommen und die er auch persönlich kennen würde?

Und schließlich: Kann sich eine Bank anmaßen, Menschen als „ihre Kunden“ zu bezeichnen, mit denen sie seit Jahren keinen aktiven Kontakt hatte? Woher nimmt man sich das Recht, zu glauben, man wisse, was „die Kunden“ wollen, wenn man mit ihnen nicht intensiv gesprochen hat?

Man könnte jetzt einwenden, dass es ja schließlich nicht an Berichten fehlt, die über „repräsentative Befragungen“ herausgefunden haben, was „die Kunden“ eigentlich wollen. Abgesehen von der weisen Erkenntnis, dass man keiner Statistik glauben sollte, die man nicht selbst gefälscht hat, sei an die Platon-Sokrates-Diskussion erinnert. Kann es objektive Befragungen überhaupt geben? Es muss ja nicht so primitiv sein, dass eine von Bayer finanzierte Befragung von Landwirten ergeben hat, dass Glyphosat nicht schädlich sei. Man stelle sich nur vor, man würde gefragt werden, ob man sich vorstellen könne, in den kommenden zwei Jahren seine Bank zu wechseln. Wie viele von uns würden diese Option völlig ausschließen? Würde die Frage aber lauten, ob man vorhabe, die Bank zu wechseln, könnte die Antwort eben auch völlig anders lauten.

Je nachdem, welches Ziel mit der Befragung verfolgt würde, würde wahrscheinlich auch die gestellte Frage ausgewählt werden. Wenn die mir bekannten Auswertungen alle zutreffen würden, müsste sich vor allem im Retailmarkt derzeit eine fundamentale Verschiebung epochalen Ausmaßes abspielen, weg von den traditionellen Regionalbanken hin zu den Direktbanken bzw. den Non- und NearBanks. Schlechte Zufriedenheitswerte, mangelnde digitale Innovationskraft, fehlende Agilität und schlechte Konditionen führen demnach unweigerlich zu einer radikalen Marktveränderung, an deren Ende die weitgehende Abschaffung von Filialen und Ortsbanken steht, die durch Plattformen und globale Datengiganten ersetzt werden.

Es liegt sicher nur an meiner begrenzten Realitätswahrnehmung, dass ich diese Revolution bislang noch nicht wahrgenommen habe, zumal ja die mitunter als „hinterwäldlerisch“ bezeichneten Genossenschaftsbanken in den vergangenen Jahren Marktanteils-mäßig die Gewinner der gemessenen Marktanteilsverschiebungen gewesen sind.

Kürzlich las ich von einem Vortrag eines Top-Managers einer nicht eben für ausgeprägte Kundennähe bekannten Großbank, dass man davon ausgehen müsse, dass „die Kunden“ künftig nur noch über Plattformen Finanzgeschäfte tätigen würden, weshalb man jetzt daran arbeite, solche Plattformen zu bauen und das Filialgeschäft „anzupassen“, also weiter zu reduzieren.

Wir leben in einem freien Land, so dass jeder sagen kann, was er möchte. Es sei aber daran erinnert, was diese Aussage bei „den Kunden“ der Bank, die noch eine Beziehung zu ihrer örtlichen Filiale haben bzw. bei den Mitarbeitern dieser Filialen auslösen muss.

Klar ist, dass die Umsetzung solcher Strategien eine „Self fulfilling prophecy“ ist, d.h. diese Bank eröffnet „ihren Kunden“ nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Bank zu wechseln, wenn man an einer örtlichen Betreuung interessiert ist, oder der Schwenk auf anonyme technische Lösungen ohne erkennbare wettbewerbliche Differenzierung.

Es überrascht keinen Leser dieser „Standpunkte“, dass ich diese Strategien für zumindest voreilig halte. Mir geht es aber vor allem darum, herauszuarbeiten, wie fatal bereits die undifferenzierte Begriffsverwendung „Kunde“ das Weltbild von Entscheidungsträgern beeinflusst.

Wenn man glaubt, aus den beschriebenen Befragungsergebnissen schließen zu können, was „die Kunden“ wollen, dann macht man sich auch nicht die Mühe, mit ihnen zu sprechen, weil das ja keinen Erkenntnisgewinn verspricht. Man konzentriert sich also darauf, Lösungen zu schaffen, die die geäußerten Erwartungen „der Kunden“ befriedigen sollen. Hinter dieser Art zu denken steht die Überzeugung, dass eine sehr gute Lösung „die Kunden“ schon dazu bringen wird, in Massen in die Bank zu streben. Diese Vorstellung eines Wirkungszusammenhangs ist m.E. vollkommen falsch.

Ich empfehle allen Banken, ihre Definition von „Kunde“ wirklich eng zu setzen, d.h. „Kunde“ ist demnach nur derjenige Mensch, mit dem man regelmäßig spricht, den man kennt, und, besonders wichtig, der auch zu einem kommt, wenn er ein Problem hat.

Diese Definition von „Kunde“ führt nämlich auch dazu, dass sich angesichts der unwidersprochen gültigen 80:20-Regel, nach der alle Retailbanken mit 20% ihrer Kunden 80% ihres Geschäfts machen, unmittelbar die Erkenntnis ableitet, dass man mit dem Großteil der „Potenzialkunden“, also der nicht regelmäßig kontaktierten Menschen, dringend in Kontakt treten sollte, weil dort das Wachstumspotenzial der Zukunft besteht.

Die zu lösende Kernaufgabe besteht nämlich darin, möglichst rasch möglichst viele „Potenzialkunden“ zu „Kunden“ zu machen, indem man mit ihnen Kontakt aufnimmt. Das würde auch einen weiteren fatalen Fehler schlechter Marktbearbeitung vermeiden helfen, nämlich die Überzeugung, dass ein Marktbearbeitungskonzept mit der Botschaft beginnt: „Der Kunde wünscht …“. Der erste Schritt erfolgreicher Marktbearbeitung beginnt nicht erst, wenn der Kunde bereits weiß, was er möchte, weil er dann auch schnell mal bei Check24 nachsehen kann. Es beginnt dabei, dass man aus Menschen „Kunden“ machen muss, d.h. weit, bevor sich ein Bedarf artikulieren kann. Das Risiko besteht nämlich ansonsten darin, dass man zwar über tolle Lösungen verfügt, aber leider kein Kunde da ist, der sie nachfragt, weil ihn der Wettbewerb schon früher abgegriffen hat.

Die richtige bzw. zweckmäßige Verwendung des Begriffs „Kunde“ hat dabei auch Bewusstseins-relevante, didaktische Wirkung, denn es macht einen großen Unterschied, ob man in einer Organisation die Illusion nährt, bereits viele „Kunden“ zu haben oder ob man aufzeigt, dass die meisten dieser „Kunden“ eigentlich nur „Potenziale“ darstellen, die es zu heben gilt. Gerade für die traditionellen Retailbanken macht diese Definition möglicherweise den Unterschied zwischen Erfolg und Untergang aus.

Jedes Vertriebsintensivierungs-Konzept muss mit dem Potenzialbegriff beginnen und nicht mit dem Kundenbegriff, weil nur dieser rhetorische Unterschied deutlich macht, worum es im Wettbewerb eigentlich geht. Man kann und sollte die Menschen befragen, was sie wollen; man sollte aber vor allem wissen, was „Potenziale“ zu „Kunden“ macht.

Herzliche Grüße aus Brand

Hans-Dieter Krönung

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