Die meisten Finanzdienstleister stehen seit Jahren vor den gleichen Herausforderungen: Kürzere Produktzyklen und ein sich dynamisch entwickelndes Kundenverhalten erfordern ein schnelleres time-to-market, die andauernde Niedrigzinsphase bedingt schnellere Veränderungen bei gleichzeitig eingeschränktem Handlungsspielraum und zusätzlich drängen neue Wettbewerber mit schlanken Organisationen und Prozessen auf den Markt.
Dabei ist es nicht verwunderlich, dass sich Agilität zu einem der Schlagwörter der vergangenen Jahre entwickelt hat. Es herrscht zwar ein branchenübergreifendes Interesse, aber häufig überwiegt die Verwirrung. Agilität wird oft als Heilsbringer angepriesen, welcher die verschiedensten Herausforderungen des Unternehmens löst. Man hört immer wieder Erfolgsgeschichten über agile Transformationen, mehrheitlich stellt sich aber nach anfänglicher Euphorie rasch Ernüchterung ein.
Die meisten Unternehmen haben inzwischen agile Piloten gestartet oder einzelne Projekte – teilweise nach einem zunächst klassischen Start – mit agilen Methoden durchgeführt. Diese Piloten und Projekte sind mal mehr und mal weniger erfolgreich. In vielen Unternehmen scheint der Knoten nicht so recht platzen zu wollen und die Erfahrungen mit agilen Methoden wie Scrum sorgen nicht unbedingt für Klarheit, sondern werfen eine zentrale Frage auf: Warum scheint die agile Methode manchmal zu funktionieren und ein andermal nicht?
Leider macht die Antwort auf diese Frage das Thema nicht weniger komplex:
Weil wichtige Elemente bei der Transformation vergessen werden und der Fokus zu sehr auf die reine Methode gelegt wird.
Es reicht eben nicht, nur Trainings und eine neue hippe Begriffswelt für Mitarbeiter anzubieten. Denn hierbei bleibt das System, in dem sich das Team bewegt, das gleiche. Das Team bewegt sich innerhalb seiner Grenzen im bestehenden Rahmen und wendet teilweise agile Methoden an. Das kann mal zufällig dazu führen, dass das Team performanter arbeitet, häufig ändern sich aber nur die Begrifflichkeiten. Die ursprünglichen Herausforderungen werden dabei jedoch nicht gelöst und die Organisation und das Denken außen herum bleiben, wie sie sind.
Vielmehr muss die Transformation ganzheitlicher verstanden werden, die breitere Organisation und die Mitarbeiter müssen mobilisiert werden. Hierzu ist zunächst zu definieren, wo das Unternehmen mit seinen Fähigkeiten startet, wie agil das Unternehmen werden soll (agiler Durchdringungsgrad), an welchen Stellen und aus welchen Gründen Agilität angestrebt wird und wie die organisatorische Ausrichtung erfolgen soll (organisatorischer Wandel).
Diese Transformation erfolgt nach unserer Erfahrung idealerweise entlang von sechs Dimensionen, welche eine bewährte Struktur für konkrete Maßnahmen während der Transformation geben. Der unbedingte Wille, grundlegende Teile des Unternehmens inklusive seiner Kultur nachhaltig zu verändern, ist natürlich deutlich aufwändiger als eine Reihe an Methodenschulungen zu geben, ist aber der einzige Weg, das Unternehmen, bzw. Teile davon, wirklich agil aufzustellen.
Horizontale und vertikale Transformation
Die agile Transformation kann sowohl horizontal als auch vertikal angegangen werden. Dabei sind sowohl der agile Durchdringungsgrad (wie viel meines Unternehmens soll agil arbeiten?) als auch der organisatorische Wandel (welche Struktur passt zum Unternehmen und unterstützt agile Zusammenarbeit?) zu betrachten.
Organisatorischer Wandel
Mit dem klassischen IT-Betriebsmodell Plan-Build-Run können die zunehmend volatilen Anforderungen nicht mehr zeitgerecht bedient werden. Daher muss sich die IT mit einer zukunftsfähigen IT-Organisation an den geänderten Marktbedürfnissen ausrichten. Hierzu muss auf strategischer Ebene definiert werden, welche Ziele die IT verfolgen soll.
EGC betrachtet bei der Gestaltung der Transformation drei unterschiedliche IT-Organisationsformen:
- Die funktionsorientierte IT-Organisation ist verrichtungsorientiert und legt anhand bestimmter Spezialisierungen den Hauptfokus auf den internen Kunden.
- Die fachbereichsorientierte IT-Organisation ist auf bestimmte Funktionsblöcke und die Anforderungen der Fachbereiche ausgerichtet.
- Im Gegensatz dazu steht die produktorientierte IT-Organisation, deren zentralen Betrachtungspunkt der externe Kunde darstellt.
Agiler Durchdringungsgrad
Der agile Durchdringungsgrad beschreibt die Ausübungsform und die Ausprägung von Agilität im Unternehmen. Dies kann eine Spannbreite von agilen Pilotteams bis hin zu einer vollständig agilen Organisation umfassen.
Der agile Durchdringungsgrad betrachtet dabei die drei Ausbaustufen agile Pilot-Teams, hybride Organisation und die vollständig skalierte Organisation, welche wesentliche Grundvoraussetzungen haben und somit auch unterschiedliche Veränderungen in der IT-Organisation erforderlich machen.
Um erste Erfahrungen mit agilem Arbeiten zu sammeln und zu überprüfen, ob Agilität zum Unternehmen passt, starten die meisten Unternehmen mit einem agilen Pilot-Team, welches idealerweise den Ausgangspunkt für den Wandel darstellen soll. Isolierte agile Pilot-Teams stoßen zwar immer wieder an ihre Grenzen, da verbundene Unternehmensbereiche noch klassisch vorgehen, jedoch können im kleineren Rahmen schon erste Erfahrungen gesammelt werden, die kritischen Handlungsfelder für einen etwaigen größeren Wandel werden im Tun sichtbar.
Für manche Unternehmen endet der Wandel hier allerdings auch schon, da man – möglicherweise zu früh – zu dem Schluss gekommen ist, dass isolierte kleinere agile Teams bereits völlig ausreichend für die Bedürfnisse der Organisation sind und eine weitere Skalierung keinen Sinn machen würde.
Die hybride IT-Organisation erlaubt eine Synthese aus einer klassischen und einer agilen Organisation. Um die Zusammenführung dieser beiden Organisationen zu ermöglichen, gilt es, zwei Kriterien zu betrachten. Dies erfordert sowohl die exakte Formulierung eines Zusammenarbeitsmodells beider Welten als auch den Aufbau eines gegenseitigen Verständnisses.
In der vollständig skalierten IT-Organisation agieren Teams selbstorganisiert und definieren ihre Sprints autonom. In einem besonders schnelllebigen und kompetitiven Umfeld kann die vollständig skalierte IT-Organisation besonders gut auf rasch sich ändernde Kundenanforderungen reagieren. Dieser agile Durchdringungsgrad verlangt eine tiefe Verankerung des agilen Mindsets in der Unternehmenskultur.
Transformation anhand von sechs Dimensionen der Agilität
EGC hat auf Basis von Projekterfahrung und Kundengesprächen sechs Dimensionen als Ordnungselemente für die Ausgestaltung einer agilen Transformation definiert. Die konkrete Ausgestaltung der sechs Dimensionen leitet sich aus dem Delta zwischen der Ist-Organisation und der angestrebten Ziel-Organisation ab. Mit Hilfe der sechs Dimensionen wird ein gesamtheitliches und transparentes Bild über die notwendigen Maßnahmen geschaffen, um den angestrebten organisatorischen Wandel und agilen Durchdringungsgrad im Unternehmen umzusetzen.
EGC vertritt die Meinung, dass das gewünschte Zielbild erst durch die Dualität der Bedingungen nachhaltig erreicht werden kann. Daher ist für eine erfolgreiche Transformation die Betrachtung von notwendigen und hinreichenden Bedingungen essenziell.
Ausgehend von der Strategie, welche sowohl als notwendige als auch als hinreichende Bedingung beschrieben wird, wird das Zielbild für das agile Arbeitsmodell beschrieben. Diese Dimension ist der Dreh- und Angelpunkt für alle weiteren Dimensionen.
Als notwendige Bedingungen, also den Grundelementen für eine agile Transformation, werden die Struktur (also die zugrunde liegende Aufbauorganisation), die Prozesse (also die notwendigen Prozesse, die das agile Zusammenarbeitsmodell unterstützen) und die IT (eine IT, welche kurze Iterationszyklen in Entwicklung und Produktion ermöglicht) beschrieben.
Als hinreichende Bedingungen, also den zusätzlichen Elementen, welche eine langfristige Wirkung von agilen Arbeitsweisen sicherstellen sollen, werden die Dimension Führung (beschreibt die Veränderung der Führung und der Zusammenarbeit innerhalb der agilen Organisation) und die Kultur (beschreibt die notwendige Haltung innerhalb des Unternehmens) beschrieben.
Anhand der sechs Dimensionen lässt sich ein auf das Zielbild angepasster Fahrplan ableiten, welcher die erforderlichen Maßnahmen aufzeigt, um die agile Transformation zu bestreiten.
Die größten Hürden bei der Einführung
In der Praxis beobachten wir, dass beim Wandel von einer Ist-Organisation zu einer Ziel-Organisation teilweise wiederkehrende Hürden und Herausforderungen bestehen. Daher ist es wichtig, besonderes Augenmerk auf die kritischen Themen zu legen und konkrete Gegenmaßnahmen abzuleiten.
Der Fokus bei der Transformation wird fast immer auf die Implementierung von Methoden und Prozessen gelegt. Hierbei werden lediglich die bestehenden Rollen und Methoden einem agilen Wording unterzogen, der Kulturwandel wird dabei oft außer Acht gelassen. Die Agilität kann somit nicht nachhaltig in der Organisation verankert werden und die Mitarbeiter arbeiten nach altem Vorgehen unter neuer Flagge.
Die Aufgaben und Verantwortungsbereiche der Führungskräfte und Mitarbeiter müssen sich während der agilen Transformation verändern. Iterative Prozesse und selbstorganisiertes Arbeiten stellen die Teams vor neue Herausforderungen, und es wird eine hohe Verantwortungsübernahme von allen Beteiligten verlangt. Kurze Iterationen sorgen für zusätzlichen Leistungsdruck, der nicht immer mit der Arbeitsweise aller Mitarbeiter vereinbar ist. Diese hohe Selbstbestimmtheit und die hohe Taktzahl sorgen dafür, dass einige Mitarbeiter performanter arbeiten, führt aber auch dazu, dass andere sich darin nicht wiederfinden und schließlich den Bereich oder das Unternehmen verlassen werden.
Den Führungskräften und Mitarbeitern wird ein starkes Bekenntnis zur Transformation abverlangt. Führungskräfte sollen in der agilen Organisation das Team befähigen, seine Ziele zu erreichen, und das Team soll neben der Transformation selbstständig und performant arbeiten. Allerdings ist zu beobachten, dass es vielen Führungskräften schwerfällt, den gewohnten Führungsstil abzulegen. Viele Führungskräfte erleben dabei einen gewissen Kontrollverlust, haben Angst um ihre Position in der neuen Organisation und müssen selbst noch mit neuen Arbeitsweisen und der neuen Kultur zurechtkommen. Gemäß unserem Mobilisierungs-Leitbild wissen wir, dass eine erfolgreiche Neuausrichtung immer nur dann gelingen kann, wenn Führungskräfte und Mitarbeiter zu aktiven Trägern der Veränderung gemacht werden, was wiederum deren aktive und glaubwürdige Einbindung in die Erarbeitung der Strategie notwendig macht.
Ein individueller Transformationspfad ist der Schlüssel zur Transformation
Unabhängig davon, ob nur ein Pilot-Team implementiert oder die Organisation vollständig agil aufgestellt werden soll, muss die Transformation ganzheitlich betrachtet werden. Bei der reinen Fokussierung auf Methoden und agile Rollen wird sich nach einem euphorischen Start schnell Ernüchterung einstellen, und die agilen Arbeitsweisen werden sukzessive wieder abgelegt. Wichtig ist, dass sowohl notwendige als auch hinreichende Kriterien erfüllt sind. Eine gewisse „Ordnung“ durch Methoden und Tools ist das notwendige, „Wirkung” das hinreichende Element.
Gleichzeitig mit dieser ganzheitlichen Betrachtung muss auch der Grad an Agilität, den ich mit meinem Unternehmen erreichen möchte, von Anfang an kritisch betrachtet und festgelegt werden. Agilität ist kein Selbstzweck und der individuelle Grad an Agilität, der für die Organisation notwendig und sinnvoll ist, muss für jedes Unternehmen, seine Anforderungen und seine Ausgangssituation individuell bestimmt werden. Nur ein konkretes, auf das Unternehmen angepasstes agiles Zielbild versetzt Organisationen in die Lage, die Prozesse und Methodiken mit der agilen Kultur verschmelzen lassen zu können und echten Nutzen aus agilen Arbeitsweisen zu ziehen und mit ihrer Hilfe die eigenen Kräfte zu mobilisieren.
Es ist also wichtig, ein Zielbild zu haben, den Weg zum Ziel zu kennen, Maßnahmen entlang des Weges zu definieren und diesen Plan dann auch umzusetzen. Die Transformation verlangt von allen Beteiligten größte Kraftanstrengungen über einen längeren Zeitraum hinweg.
Am Ende entscheidet die Konsequenz der Umsetzung in der passenden Balance aller sechs Dimensionen darüber, ob Agilität eine Organisation tatsächlich verändern wird oder lediglich bei modernem Wording stehen bleibt.
Wir sind überzeugt, dass der Schlüssel für eine erfolgreiche und nachhaltige Umsetzung in den Menschen liegt und diese den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen. Mit unserem Ansatz – The Art of Mobilization – machen wir die Mitarbeiter dauerhaft zu Multiplikatoren und Fürsprechern der Veränderung und schaffen dadurch die nachhaltige Verankerung im Unternehmen.