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Hans-Dieter Krönung

Gerade ist in Deutschlands „Ländle“ etwas Merkwürdiges passiert. Da wurde mit Winfried Kretschmann ein Mann als Ministerpräsident wiedergewählt, der eigentlich im konservativ dominierten Baden-Württemberg als Betriebsunfall eingestuft werden müsste. Waren die Umstände seiner Wahl vor vier Jahren noch einigermaßen nachvollziehbar (Fukushima,

Atomausstieg, Stuttgart 21 etc.) und schwebte über seiner Ernennung noch so etwas wie ein Protestsignal eigentlich friedliebender Bürger, so hätte dieses Ereignis mit der nun stattgefundenen Wahl sein absehbares Ende finden müssen. Doch es kam anders, und weil es anders kam, lohnt es sich, einen Standpunkt dafür zu verwenden.

Wenn man Kretschmann erlebt und reden hört, verkörpert er eigentlich alles, nur nicht den typischen „Grünen“. Er ist und handelt wertkonservativ, hat die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin unterstützt (im Gegensatz zu seinem Kontrahenten von der Kanzler-Partei), ist Mitglied im Schützenverein und, vor allem, spricht bedächtig.

Man stelle sich vor, Kretschmann wäre nicht Ministerpräsident, sondern Vorstand „beim Daimler“. Inmitten der Management-Führungselite wäre ein Kretschmann sicher noch skurriler als der Schnauzer des Vorstandsvorsitzenden.Aber hätte einer wie Kretschmann, der bei Fragen nicht so fort Stakkato-mäßig antwortet,sondern nachdenkt, überhaupt eine Chance im Haifischteich des Top-Managements eines globalen Unternehmens? Würde er nicht als „entscheidungsschwach“, „langsam im Denken und Handeln“, nicht pragmatisch“ eingestuft werden?

Wie kann es also sein, dass einem Menschen, der so ist und so agiert wie Kretschmann, die Herzen und die Stimmen zufliegen? Die Antwort liegt in dem, was die Psychologen Kahnemann und Tversky „Prospect Theory“ nennen und was Daniel Kahnemann nach Tverskys Tod in dem Spiegel-Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ verarbeitet hat, nämlich das Zusammenspiel bzw. das Nicht-Zusammenspiel von rationalem und emotionalem Handeln.

Gerade in Zeiten von Google und Yahoo boomt die Überzeugung, die Qualität von Entscheidungen hänge vor allem mit der Menge an Informationen zusammen, die man zur Entscheidungsfindung heranziehen kann. Man müsste also annehmen, dass die Menge an rational getroffenenEntscheidungen zunehmen müsste.

Überzeugungen, gefühlte Situationen und Erfahrungen führen zu „pragmatischem“, also vor allem schnellem Entscheidungsverhalten.

Ich habe schon oft beobachtet, dass sich Manager als besonders fähig und intelligent darstellen, indem sie viele und schnelle Entscheidungen treffen. Meist gelingt es auch (zunächst), Eindruck zu machen. Schnelles Entscheiden führt häufig bei anderen Führungskräften und bei Mitarbeitern zu dem Bild des „blitzgescheiten“ Menschen. „Man kann über ihn sagen, was man will, aber er ist hochintelligent“, ist dann eine der typischen Aussagen.

Nach Kahnemann hat dieses Entscheidungsverhalten mit Intelligenz überhaupt nichts zu tun. Das menschliche Gehirn hat sich aus Erfahrungen, Angelerntem und einigen Entscheidungsmustern einen Schutzmechanismus geschaffen (System 1 bei Kahnemann), der sicherstellt, dass das Gehirn nicht bei jedem Impuls sofort mit voller Energie reagiert, sondern erst dann „hochfährt“ (System 2 bei Kahnemann), wenn ein besonderer Impuls (z.B. eine unvorhergesehene Situation) oder eine besondere Situation (z.B. eine Prüfung) dies erfordern. Pragmatismus ist also, vereinfacht gesagt, die Anwendung eines Schutzes vor Überlastung, eine Sicherung.

Die Sicherung hat aber mit der Qualität von Entscheidungen nichts zu tun. Wer viel und schnell entscheidet, vertraut eher dem statistischem Effekt, nach dem hoffentlich die Mehrzahl der getroffenen Entscheidungen richtig ist, oder aber auf den Zeiteffekt, nämlich dass die Wirkungen der Fehlentscheidungen erst nach so langer Zeit auftreten, dass man dafür nicht haftbar gemacht wird.

Kahnemann und Tversky haben aufwendig untersucht, wie sich „pragmatisches“ Entscheidungsverhalten auf die Qualität von Entscheidungen auswirkt. Selbst bei den Suchmaschinen führt die von System 1 vorgenommene Vorselektion dazu, dass eher diejenigen Referenzgruppen gesucht werden, bei denen man die Bestätigung der eigenen Meinung erwarten darf, anstatt insbesondere diejenigen Referenzgruppen zu suchen, die neue Aspekte der Entscheidungsfindung bringen können.

Dieser Sachverhalt ist uns aus den Top Management-Etagen vieler Unternehmen bekannt, dass nämlich nicht sein kann, was nicht sein darf. Wenn dies dann mit dem Etikett des „Pragmatismus“ verkleidet wird, handelt es sich um Dummheit oder Faulheit, auf je den Fall aber um Fahrlässigkeit.

Das relevante Gegensatzpaar bei der Entscheidungsfindung ist daher nicht mehr „rational vs. emotional“, sondern „pragmatisch vs. gründlich“. Laut Wikipedia ist Pragmatismus ein Verhalten, bei dem das praktische Handeln über die theoretische Vernunft gestellt wird, getreu dem Motto: Theorie ist das, was man nicht versteht, Praxis dagegen das, was man nicht erklären kann. Pragmatismus in einem so verstandenen Sinn kann also eine Geisteshaltung sein, die sich weniger auf Gründlichkeit, dagegen mehr auf Intuition stützt. Damit wird Pragmatismus aber auch zu einer Frage der Risikoneigung, denn in einer sich permanent verändernden Welt ist ein auf Erfahrung basierendes, intuitives

Entscheidungsverhalten riskant, weil die Entscheidungsmuster, die das System 1 nutzt, nicht mehr gültig sind bzw. sein können.

Es ist kein Zufall, dass gerade in unserer Zeit das sogenannte pragmatische Denken wieder populär wird. Der Weg vom Pragmatismus zur Ideologie ist nämlich nicht weit. Ideologie und „schnelles Denken“ gehen allzu gerne symbiotische Verbindungen ein, denn Ideologie bietet ein klares Denkschema, vermeintliche Sicherheit und jede Menge Vorurteile. Gerade der Begriff des „Vor-Urteils“ beschreibt ja gerade das Grundproblem des „schnellen Denkens“, nämlich das Entscheiden auf der Basis eines eigentlich noch nicht abschließend zu fällenden Urteils.

Ich habe viele Manager erlebt und erlebe dies leider immer häufiger, dass hochrangige Gesprächspartner nicht mehr zuhören können. Sie sind ausschließlich auf „Senden“ programmiert.

Auch komplexe Zusammenhänge sind dann schnell „klar“, und man kann ebenso schnell „Richtungsentscheidungen“ treffen. Weiter, immer weiter. Innehalten, zuhören, andere Argumente verstehen, sich anderen Sichten öffnen und bereit sein, den eigenen Standpunkt immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, gilt dann eher als „Zaudern“ und wird folgerichtig als Schwäche ausgelegt. Und natürlich gilt auch hier, dass der Weg vom gründlichen Reflektieren zum „Aussitzen“ eher kurz ist.

Ich habe Kahnemanns Buch sehr gründlich gelesen und ich halte es auch für einen Meilenstein der Verhaltensökonomik. Ich nutze das Buch häufig zur Illustration der Bedeutung von Impulsen für das Ingangsetzen von System 2, denn ich weiß aus Erfahrung, dass Organisationen, die über Führung oder andere Impulse häufiger im System 2 unterwegs sind, signifikant erfolgreicher sind als diejenigen, die dies nur sporadisch, etwa über Kampagnen, tun.

Ich habe aber auch immer bedauert, dass sich die allgemeine Assoziation mit dem Titel des Buches allein auf die Begriffe „schnell“ und „langsam“ konzentriert. Das Wort „Denken“ kommt immer zu kurz, und das ist bedauerlich, weil es ja eigentlich darum geht, das Denken zu optimieren. Denn auch Kahnemann vertritt ja nicht die These, man solle überhaupt nicht
mehr schnell und intuitiv denken, sondern will uns ja für deren Zusammenspiel sowie die daraus resultierenden Chancen und Risiken sensibilisieren.

Wir müssen in Zeiten der Veränderung wieder das Lernen, vor allem das Denken zu üben. Wir müssen wieder lernen, uns die Zeit zu nehmen, die Dinge gründlich zu durchdenken. Wir müssen aufhören, Korrelation und Kausalität zu verwechseln. Nicht alles, was gleichzeitig passiert, hängt auch ursächlich miteinander zusammen.

Benchmarking ist ein Treibstoff für pragmatisches Denken, weil anhand von Vergleichsziffern Wirkungszusammenhänge dargestellt werden, die häufig nicht bestehen bzw. den eigentlich relevanten Wirkungszusammenhang verdecken.

Amüsiert hat mich die Geschichte, die mir über den Vorstandsvorsitzenden einer sehr erfolgreichen Bank erzählt wurde, der auf die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis der Bank antwortete, dass er jeden Morgen um 8 Uhr im Büro sei.

Es ist ja fast tragisch, aber wenn die Wahrnehmung von komplexen Wirkungszusammenhängen derart degeneriert, dass nur noch ein unbeabsichtigter Witz dabei herauskommt, dann muss man sich große Sorgen um den Fortbestand des betreffenden Unternehmens machen. Ich werde jedenfalls mit großer Aufmerksamkeit beobachten, wie sich diese spezielle Bank entwickelt.

Nachdenken und Verstehen hat eben viel mit Zuhören zu tun, mit der Bereitschaft, System 2 zu aktivieren. Vielleicht sind die Wähler in Baden-Württemberg sogar besonders schlau, denn sie vertrauen einem, der ganz offensichtlich bereit und in der Lage ist, gründlich nachzudenken.

Vielleicht führt die Unsicherheit, die viele Menschen erfasst hat, gerade auch dazu, dass man die Führung durch Menschen sucht, die offensichtlich keine Angst vor Komplexität haben und Lösungen finden können, die durchdacht sind, selbst wenn sie unbequem sind. Ich würde so weit gehen, zu behaupten, dass es eine Korrelation zwischen guten Betriebsergebnissen und der Fähigkeit des Top-Managements, nachzudenken, gibt. Wenn ich darüber nachdenke, welche Manager mir einfallen, die überdurchschnittlich erfolgreich sind bzw. waren, und zwar über einen langen Zeitraum, dann habe ich den Eindruck, dass sie mehr oder weniger alle die gleichen Eigenschaften hatten: Die Fähigkeit, zuzuhören, die Muße, zu verstehen und die Lust am Nach-Denken.

Mir fällt eigentlich niemand ein, der sich mir durch „schnelles Denken“ und hohe Entscheidungsfrequenz eingeprägt hat und gleichzeitig außerordentlich und auf Dauer erfolgreich war. Es gab natürlich eine große Zahl an Managern, die für kurze Zeit ungewöhnlich erfolgreichwaren und glaubten, die Welt aus den Angeln heben zu können, aber nach kurzer Zeit verschwunden waren.

Was also können wir lernen? Nicht immer steckt hinter einem „pragmatischen“ Entscheidungsverhalten auch ein kluger Kopf.

Und: Nicht immer ist sorgfältiges Durchdenken ein Hinweis auf mangelnde Entschlossenheit.

Viel Glück für die kommenden Aufgaben, Herr Kretschmann.

Herzliche Grüße aus Brand

Hans-Dieter Krönung

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