In unserer Interviewreihe Zur Sache! teilen Experten aus dem EGC-Netzwerk ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen zu wichtigen Fragestellungen, die Finanzdienstleister aktuell beschäftigen. In Interviews stehen sie Rede und Antwort, erläutern Sachverhalte im Detail und teilen spannende Consulting Insights, die für Sie von Nutzen sind. Benötigen Sie weitere Informationen zu den Fragestellungen? Treten Sie gerne in den Dialog mit uns.
Kernbanksysteme sind das Rückgrat in der IT-Architektur von Banken. Die Einführung ist eine langwierige und oftmals teure Angelegenheit. Umso wichtiger ist es, das richtige, zur jeweiligen Bank passende System auszuwählen. Unser EGC-Experte Dominik Kecskemeti erläutert im Interview mit Hermann Sgardelli, auf welche Faktoren dabei besonders zu achten ist.    

​Lieber Dominik, wir gratulieren Dir zu deinem Masterabschluss. Im Zuge deiner Masterthesis hast Du beleuchtet, anhand welcher Kriterien ein Kernbanksystem ausgewählt werden kann. Bitte erläutere doch einmal, wie Du überhaupt zu dem Thema gekommen bist.

Im Rahmen meiner Tätigkeit bei EGC durfte ich schon Kernbanksystemauswahlverfahren und Kernbanksystemmigrationen begleiten. Dabei ist mir aufgefallen, dass es für viele Banken nicht eindeutig ist, anhand welcher Kriterien ein Kernbanksystem ausgewählt werden kann. Umso spannender wird es, wenn man die aktuelle Marktlage beobachtet. Im Zuge meiner Recherchetätigkeit wurde meine Hypothese durch die Literatur und Experteninterviews gestützt, dass viele Banken mit der Herausforderung konfrontiert sind, eine Kernbanksystemmodernisierung forcieren zu müssen. Zugleich gibt es zahlreiche Beispiele, in denen der Kernbanksystemwechsel missglückt ist. Berücksichtigt man die Tatsache, dass es sich bei Kernbanksystemmigrationen um langfristige Projekte mit Investitionssummen im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich handelt, sollte die Auswahl des neuen Systems möglichst sorgfältig erfolgen. Genau hier setzt meine Masterarbeit an, indem empirisch untersuchte Auswahlfaktoren bereitgestellt werden.

Das klingt spannend. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, welche Faktoren Du untersucht hast.

In Zuge von Experteninterviews mit Vorständen, Programmleitern und Kernbanksystem-Beratern habe ich sieben Auswahlfaktoren diskutiert. Konkret wurden die Themen

  • Stabilität des Kernbanksystem-Anbieters
  • Kundenunterstützung
  • IT-Sicherheit
  • Betriebsmodell des Kernbanksystems
  • Kosten
  • der Abdeckungsgrad des Produktportfolios
  • und die Open-Banking-Fähigkeit

adressiert. Zugleich habe ich die Experten um eine numerische Einwertung der Faktoren gebeten, um eine Priorisierung darstellen zu können.

An deine letzte Aussage bzgl. der Priorisierung möchte ich gleich anknüpfen. Welche Auswahlfaktoren sind deiner Meinung nach denn am relevantesten?

Für mich war es überraschend, dass die Interviews mit den Experten nicht von Trendthemen wie künstlicher Intelligenz oder Cloud dominierten wurden. Vielmehr konzentrierten sich die Experten auf Faktoren, die auf die Zuverlässigkeit des Kernbanksystems abzielen. Dabei erhielten die Auswahlfaktoren Stabilität des Kernbanksystem-Anbieters, die Solidität in der Kundenunterstützung und Kontinuität durch IT-Sicherheit die höchste Bewertung aller Experten, unabhängig davon, welcher Bankgröße oder Banken -Geschäftsmodelle die Experten angehörig waren.

Bist Du in den Interviews auch darauf eingegangen, warum gerade die von Dir genannten Auswahlfaktoren als prioritär eingestuft wurden?

Ja, für mich war es entscheidend, dass ich zur Priorisierung der Faktoren auch Kontext bereitstelle. Die „Stabilität des Kernbanksystem Anbieters“ konnte sich als wichtigstes Auswahlkriterium herausdestillieren. Bei Kernbanksystem-Wechsel-Projekten handelt es sich um Vorhaben mit intensiver Kapitalbindung, langen Durchlaufzeiten und hoher Management-Aufmerksamkeit. Aus diesen Gründen setzen die Experten auf etablierte Systeme und berücksichtigen neuartige Systeme nur bei einzelnen Systemkomponenten wie beispielsweise 3rd-Party-Anwendungen. In diesem Zusammenhang wurde auch erwähnt, dass neuartige Systeme rasch an ihre Belastungsgrenzen stoßen, sobald sie das Geschäftsaufkommen einer größeren Bank bewältigen müssen. An zweiter Stelle rangiert der Faktor „Kundenunterstützung“. Diese Bewertung ist meiner Meinung nach leicht nachvollziehbar. Ich traue mich die kühne Behauptung aufstellen, dass bereits jede Person mit der Situation konfrontiert war, dass die Bankomatkarte nicht funktionierte – und das bei vollgepacktem Einkaufswagen. Für Kunden ist es in derartigen Situationen von essenzieller Bedeutung, dass die Bank rasch und problemlösend agiert. Durch dieses Beispiel wird auch die Argumentation der Experten verdeutlicht. Keiner der untersuchten Faktoren hat tiefgreifendere Implikationen auf Endkunden als die „Kundenunterstützung“. Abschließend möchte ich noch kurz auf den dritthöchst eingewerteten Faktor, „IT-Sicherheit“, eingehen. Beobachtet man die zunehmende Fokussierung der Regulatorik und die stark ansteigende Fallzahl an IT-Sicherheitsangriffen, ist es nicht verwunderlich, dass „IT-Sicherheit“ als Faktor hohe Aufmerksamkeit zugetragen wird. Studien zeigten, dass kaum eine Branche wie der Finanzsektor von IT-Sicherheitsangriffen bedroht ist. Freilich sind die Konsequenzen eines IT-Sicherheitsvorfalls für Unternehmen aller Branchen nicht zu unterschätzen, allerdings schwingt im Finanzsektor zusätzlich das Thema der Reputation und des verlorenen Vertrauens mit.

Vielen Dank für deine Erläuterungen. Du hast zu Beginn erwähnt, dass Trendthemen weniger Anklang bei den Experten gefunden haben. Könntest Du kurz auf diese Aussage eingehen?

Dazu möchte ich zwei Beispiele nennen. Im Zuge der Diskussion des Faktors „Betriebsmodell Kernbanksystem“ fand ein intensiver Austausch rund um das Thema Cloud statt. Auch wenn diesem Thema hohe Aufmerksamkeit geschenkt wird, zeigte sich, dass das vorherrschende Betriebsmodell, die On-Premise Lösung, trotz aller Nutzen- und Vorteilsversprechungen, der Cloud-Infrastruktur vorgezogen wird. Gleichzeitig erklärten mir die Experten jedoch, dass es aus Kostengründen perspektivisch Richtung Cloud gehen muss.

Faktoren, die auf die Zuverlässigkeit des Kernbanksystems abzielen, sind entscheidend.“

  Das zweite Beispiel bezieht sich auf den Faktor der „Open-Banking-Fähigkeit“. Bei keinem anderen Faktor wurde ein derartig kontroverser Diskurs geführt wie bei diesem. Entweder wurde konstatiert, dass das Kernbanksystem zwangsläufig über offene und standardisierte Schnittstellen verfügen muss, oder es wurde argumentiert, dass dieser Faktor überhaupt keine Relevanz besitze. Die stark polarisierenden Meinungen lassen sich teilweise auf unterschiedliche Geschäftsmodelle zurückführen.

Beim Blick auf Deine Auswahlfaktoren fällt auf, dass wir die Faktoren „Kosten des Kernbanksystems“ und „Abdeckungsgrad des Produktportfolios“ noch nicht angesprochen haben. Könntest Du uns kurz deine Kernerkenntnisse schildern?

Beide Faktoren wurden niedrig bewertet, weshalb ich die beiden Themen nur kurz skizzieren möchte. Die Kernerkenntnis beim Faktor „Kosten“ ist, dass die Experten ein ausgeprägtes Engagement zeigten, deutlich höhere Investitionssummen für etablierte Kernbanksysteme aufzurufen, anstatt auf günstigere und neuere Lösungen zu setzen. Beim „Abdeckungsgrad des Produktportfolios“ kam immer wieder die Frage auf, ob alle bestehenden Produkte überhaupt in das Zielsystem migriert werden sollen. Für Banken kann es sinnvoll sein, bankfachliche Funktionalitäten und das Produktportfolio zu reduzieren, sowie Deckungsbeitrags- gesteuert ausgewählte Kundengruppen aufzugeben, um eine saubere Einführung des Kernbanksystems erreichen zu können. Gemäß den Experteninterviews ist es ausreichend, dass 60% bis 80% des bestehenden Produktportfolios im Zielsystem abgebildet werden können.

Für mich stellt sich nun die Frage, wie die von Dir vorgestellten Faktoren anschließend in der Praxis genutzt werden können. Hast Du dir dazu Gedanken gemacht?

Meine Masterarbeit wurde mit dem Anspruch verfasst, den Kernbanksystemauswahlprozess von österreichischen und deutschen Banken wirksam in der Praxis zu unterstützen. Konkret können die einzelnen Auswahlfaktoren in ein Scoringverfahren eingebettet werden. Dabei wurden alle Faktoren deutlich über dem Mittelwert eingewertet . Somit kann davon ausgegangen werden, dass alle Faktoren eine gewisse Relevanz im Auswahlprozess besitzen. Natürlich sind auch die Entscheider  von Banken gefragt, die von mir vorgestellten Faktoren durch institutsspezifische Faktoren anzureichern.

Danke Dominik für deine spannenden Insights! Welchen Tipp kannst Du unseren Kunden abschließend geben, was sie besonders in ihrem Kernbanksystemauswahlprozess beachten sollten?

Wie bereits beschrieben, sollten sich die Verantwortlichen nicht von Trendthemen blenden lassen. Der Leitgedanke muss meiner Meinung nach stets sein, einen kontinuierlichen Betrieb des Kernbanksystems gewährleisten zu können. Als besonderen Tipp würde ich mitgeben – wir hatten es nur indirekt angesprochen – den Kernbanksystemwechsel zugleich zu nutzen, um Altlasten loszuwerden. Konkret sollten sich die Banken die Frage stellen, ob sämtliche Sonderlocken bei Produkten „mitgenommen“ werden müssen oder doch eingespart werden können.

Ein gutes Schlusswort. Danke Dir Dominik!


EGC EUROGROUP CONSULTING AG | Thurn-und-Taxis-Platz 6 | 60313 Frankfurt am Main
Telefon: +49 69 2475055-0 | Fax: +49 69 2475055-50 | E-Mail: info@eurogroupconsulting.de

EUROGROUP CONSULTING GMBH ÖSTERREICH | Dr. Karl Lueger Platz 5 | 1010 Wien
Telefon: +43 (1) 513 448 00 | Fax: +43 (1) 513 448 050 | E-Mail: info@eurogroupconsulting.at