Prozesse messen. Standard! SLA definieren. Standard! Prozessoptimierungen durchführen. Standard! Wirklich?
Optimierungen werden zwar durchgeführt, aber auf welcher Grundlage? Häufig werden diese nur auf internen Messungen, Beobachtungen oder Meinungen der eigenen Fachexperten umgesetzt. Aber ist das noch up-to-date? Sollte nicht der Kunde eingebunden werden? Wäre es nicht schön zu wissen, dass man die Prozesse auch so verbessert, dass sie danach den Kundenerwartungen bzw. -wünschen entsprechen? Aus der Verbindung von punktgenauer Kundenstimmen- und detaillierter Prozessanalyse lässt sich genau das bewerkstelligen und somit wesentliche Voraussetzungen für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg schaffen.
In dem ersten Artikel unserer Serie zur Kundenfokussierung haben wir die Bedeutung des Kundenfeedbacks, der Kundenstimme, betrachtet. Das Fazit lautete:
„Das Einholen der Kundenstimme ist für eine kundenfokussierte Ausrichtung eines Unternehmens unverzichtbar. Die gezielte Analyse und die kombinierte Nutzung von quantitativen und qualitativen Elementen stellen durch die Verknüpfung mit den Kontaktpunkten und den zugrundeliegenden Prozessen einen wesentlichen Eckpfeiler unseres Ansatzes zur kundenfokussierten Unternehmenssteuerung dar. Das Kundenfeedback wird einzelnen Prozessen zugeordnet und es kann eine differenzierte Optimierung einzelner Kontaktpunkte aus Kundensicht erfolgen.“
Viele Finanzdienstleister sind mittlerweile dabei, Kundenfeedback nachhaltig einzusammeln. Inzwischen auch nicht nur über externe Anbieter oder große Servicestudien, sondern auch über eigene Befragungen. Denn mittlerweile ist durch Online-Rezensionen, Bewertungsportale etc. bekannt, dass Kunden durchaus gewillt sind, ihr Feedback einem Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Dabei werden sogar neben rein quantitativen Bewertungsfragen auch qualitative, also offene Fragen gestellt, z.B. nach einer Begründung. Soweit so gut.
In dem letzten Artikel haben wir darauf hingewiesen, dass es von entscheidender Bedeutung ist, zu wissen, an welchem Kontaktpunkt die Kundenstimme erhoben wurde und damit zu wissen, welchen Prozess der Kunde zuvor erlebt hat bzw. manchmal auch erleiden musste. Warum ist das wichtig?
Prozesskennzahlen und Kundenbewertung verbinden
Ein rein quantitatives Kundenfeedback zu erhalten ist wertvoll, allerdings oftmals wertlos, wenn es um die konkrete Ableitung von Optimierungsmaßnahmen geht. Vergibt ein Kunde eine schlechte Bewertung, stellt sich z.B. ein Versicherungsunternehmen die Frage, ob es sich um eine Bewertung nach einem Bestandsvorgang oder einem Leistungsfall handelt. Nicht ganz unwichtig, wenn anschließend Prozesse optimiert werden sollen. Daher ist bei der Konzeption einer Kundenbefragung stets darauf zu achten, dass sich die Befragungs-Kontaktpunkte den zugrundliegenden Prozessen zuordnen lassen. Hier bietet es sich an, entsprechende Prozesslandkarten oder auch Customer Journeys zu erstellen, wo die Befragungskontaktpunkte eindeutig bestehenden Prozessen – und damit oft auch Prozesskennzahlen – zugeordnet sind.
Kann man den Kundenstimmen und -bewertungen nun bestimmte Prozesse zuordnen, können schnell weitere Messgrößen damit in Verbindung gebracht werden. Ein Service Level Agreement (SLA) wird von Unternehmen i.d.R. bei den wichtigsten Prozessen erhoben, sodass hier eine Verbindung zwischen dem Kundenfeedback (z.B. in Form einer NPS-Bewertung) und dem eigenen Anspruch (meistens ein SLA hinsichtlich Bearbeitungszeit/Durchlaufzeit) hergestellt werden kann. Dabei ist nicht immer eine Korrelation von eingehaltenem SLA mit dem Kundenfeedback ausschlaggebend, sondern vielmehr bietet ein beispielsweise eingehaltener SLA, aber ein schlechter NPS Wert die Gewissheit, diesen Prozess mal näher anzuschauen.
Nachfolgend soll an einem Beispiel aus der Versicherung ein stark vereinfachter Prozessablauf zur schematischen Darstellung mit SLA-Einhaltung (abgebildet als Ampel) und NPS-Wert:
Das abgebildete Beispiel zeigt, dass bei dem gesamten (stark vereinfachtem) Prozess der SLA nur mäßig (gelbe Ampel) eingehalten wird und der Kontaktpunkt, der diesem Prozess zugeordnet ist, einen NPS-Wert von 12 besitzt. D.h. aus allen Geschäftsvorfällen (beispielsweise Adressänderung) im analysierten Zeitraum ergibt sich, dass wir rechnerisch 12 %-Punkte mehr Promotoren als Kritiker haben (Der NPS-Wert berechnet sich aus dem prozentualen Anteil der Promotoren (Bewertung 9 & 10) abzüglich dem prozentualen Anteil der Kritiker (Bewertung 0 – 6))
Sicherlich schon interessant, zumal man nun in der Lage ist, diese beiden Werte (NPS und SLA) zyklisch zu erheben und daraus Erfahrungen abzuleiten. Spannend wird es zu beobachten, wie sich diese beiden Werte im Zeitablauf und insbesondere nach einer Prozessanpassung/-optimierung verhalten. Steigt der NPS-Wert und der SLA bleibt gleich, spricht einiges dafür, dass die Änderung die Kundenerwartungen besser erfüllt, auch wenn die Bearbeitungszeit dabei nicht ausschlaggebend ist. Ziel ist es natürlich, beides zu verbessern: Eine nachhaltige Einhaltung der SLAs (grüne Ampel) und einen durch Optimierungen im Prozess iterativ verbesserten NPS-Wert.
Aus der obigen Abbildung geht jedoch nur der aggregierte Gesamtprozess hervor (also z.B. alle Anschriftenänderungen). Häufig ist für einen Prozess ein Standardprozess definiert, der sich auch in allen Arbeitsanweisungen oder -richtlinien wiederfindet. In der Praxis wird man jedoch feststellen, dass dieser nicht immer (wahrscheinlich sogar recht selten) eingehalten wird. Dies kann man idealerweise mit einem Prozess-Miningtool sehr schnell und auch schonungslos darstellen. Selbstverständlich ist dies aber auch über manuelle Auswertungen, Beobachtungen oder Messungen möglich.
Der Gesamt-NPS-Wert aller Adressänderungen beträgt 12. Jedoch ist die Einzelfallbetrachtung (Prozessdurchlauf) hier das Entscheidende, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen. Vereinfacht dargestellt ergibt sich das folgende Bild von beispielsweise vier Prozessdurchläufen mit drei Prozessvarianten des in Abbildung 2 dargestellten Geschäftsprozesses:
Diese Prozesse lassen sich nun aus betriebswirtschaftlicher Sicht betrachten. Dabei wird herauskommen, dass eine Prozessvariante sinnvoller als die anderen ist. Dabei spielt natürlich die Betrachtung der Bearbeitungszeit, der eingebundenen Ressourcen, Warte- und Liegezeiten etc. eine Rolle. Selbstverständlich wird ebenfalls analysiert, ob der SLA, den man als eigenen Anspruch für den Dienst am Kunden definiert hat, bei den o.g. vier Prozessdurchläufen eingehalten wurde oder nicht. Somit kommt mit der SLA-Betrachtung eine Bewertungsdimension hinzu, die bereits „in Richtung Kunde“ zielt: Wie lange darf ein Prozess dauern (damit ein Kunde idealerweise ‚begeistert‘ ist) und wurde diese Bearbeitungsdauer eingehalten oder nicht.
Kundenstimme gezielt nutzen
Aber ist die Durchlaufzeit die einzige Wahrheit? Geht es nur um die Geschwindigkeit? Reicht es aus, schnell zu sein und dies ansonsten rein aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu betrachten? Sicherlich nicht mehr.
Durch die gezielte Abfrage der Kundenbewertung und der -stimme ist das Unternehmen in der Lage, zu einem Prozessdurchlauf nicht nur die Durchlaufzeit zu messen, sondern auch die vom Kunden abgegebene Bewertung und seine Erfahrungen/Anregungen punktuell einem Kontaktpunkt, einem Prozess und sogar einem Prozessdurchlauf zuzuordnen.
Damit können nun die abgebildeten vier Prozessdurchläufe nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch mit tatsächlichen Kundenerfahrungen versehen und damit kundenfokussiert analysiert werden. Aus der Abbildung ist zu erkennen, dass zwei Prozessdurchläufe (2 und 4) besser vom Kunden bewertet werden als die anderen. Interessanterweise können diese beiden besser bewerteten Durchläufe auch den gleichen Prozessablauf vorweisen. D.h., scheinbar sind die Prozessschritte, die nur bei den schlechter bewerteten Durchläufen vorkommen, für die schlechtere Bewertung verantwortlich. Oder anders ausgedrückt: Die Adressänderungen, die besser bewertet wurden, sind lt. der Kundenstimme über die App eingereicht worden und dies scheint eine bessere Bewertung zu forcieren. Eine davon gibt sogar einen Hinweis auf einen besonderen Mehrwert (Hilfe bei der Arztsuche).
Die beiden schlecht bewerteten Prozessdurchläufe können nun gezielt analysiert werden. Ein Blick in genau deren Kundenstimmen bringt da möglicherweise bereits wertvolle Erkenntnisse, was den Kunden gestört hat und warum eine schlechtere Bewertung abgegeben wurde. In dem o.g. Beispiel scheint die Adressänderung über die Website nicht so zu funktionieren, dass der Kunde zufrieden war, weil er entweder keine Bestätigung erhalten hatte, oder die Anschrift scheinbar nicht geändert wurde.
In diesem Beispiel sollte nun aufgrund der Kundenstimmen der Prozess der Website-Adressänderung genauer betrachtet werden. Somit gilt es, die Aufmerksamkeit auf diesen Prozessschritt zu legen und zu überlegen, wie dieser Abschnitt aus Kundensicht vereinfacht, integriert oder möglicherweise komplett entfallen kann, indem andere Lösungen gefunden werden. Ebenso können die Begeisterungspotenziale, die aus den Kundenstimmen identifiziert werden konnten (im Beispiel die Hilfe in der App bei der Arztsuche in der neuen Umgebung), für weitere Kanäle aufgegriffen werden.
Wirksamkeit der Änderungen beobachten
Wurde nach dieser Analyse dann eine Optimierung des Prozessablaufes umgesetzt, kann eine nachgelagerte Wirksamkeitskontrolle erfolgen, indem die NPS-Werte, die Kundenbewertungen und die SLA-Einhaltung des angepassten Prozesses im Zeitablauf beobachtet werden. Steigen die NPS-Werte nach einer Optimierung, fühlt sich der Kunde besser verstanden und drückt somit seine Zufriedenheit aus.
Fazit
Der Kunde ist gewillt, dem Unternehmen sein Feedback zu geben. Diese Feedbackkultur ist durch Produktrezensionen, Verkäuferbewertungen etc. in unserer Zeit durchaus zur Normalität geworden. Daher sollte auch ein Finanzdienstleistungsunternehmen diese Chance nutzen und durch ein gezieltes und intelligentes Kundenfeedbackmanagement die Erfahrungen, Wünsche und Anregungen der Kunden aufgreifen. Je gezielter dieses Feedback erhoben wird, umso besser können die eigenen Prozesse dadurch analysiert und vor allem differenziert optimiert werden. Dazu gehört insbesondere die klare Zuordnung von Bewertungs-Kontaktpunkten zu den Prozessen und anschließend eine smarte Prozessanalyse (idealerweise mittels eines Prozess-Mining Tools), um die Potenziale zu erkennen und zu heben.