Die englische Zeitschrift The Economist hat vor einiger Zeit proklamiert, dass die wertvollste Ressource der Welt nicht länger Öl, sondern Daten sind.1 Diese Aussage spiegelt die große Bedeutung wider, die Daten heute in unserer Gesellschaft haben. Aus Daten einzelner Beobachtungen können durch Einordnung in den relevanten Kontext wertvolle Informationen und Wissen entstehen. Stellen diese Erkenntnisse die Basis für entsprechende Entscheidungen und Handlungen dar, generieren sie Vorteile und damit verbundene Gewinnmöglichkeiten.
Der Economist hat bei seiner Aussage vor allem große Internetunternehmen wie Google oder Amazon im Blick, deren Geschäftsmodell zu einem großen Teil auf dem Umgang mit Daten seiner Nutzer basiert. Er zieht die Schlussfolgerung, dass, ähnlich wie die Ölindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, eine Regulierung durch das Kartellrecht erforderlich ist, um Wettbewerbsnachteile abzumildern, die sich ökonomisch gesehen aus den Skalen- und Plattformeffekten ergeben.
Doch was genau macht unsere heutige Datenökonomie aus? Woher kommen die Vorteile aus der Nutzung von Daten und wie genau können etablierte Unternehmen ebenfalls erfolgreich im datenbasierten Wettbewerb bestehen?
Mit der Reihe DataNavigator möchte Eurogroup Consulting die vielfältigen Facetten der Welt des Datenmanagements beleuchten und Anregungen geben, darüber nachzudenken, wie wir heute Daten, Informationen und Wissen nutzen. Wir werden hierbei von Zeit zu Zeit einzelne, uns wichtig erscheinende Aspekte des Datenmanagements herausgreifen und unsere Ideen, Erfahrungen und Empfehlungen dazu in kurzen Artikeln schildern.
Am Anfang, im ersten Beitrag einer solchen Sammlung von Beiträgen, gilt es die Frage zu beantworten, was Datenmanagement eigentlich ist und welche Bedeutung es hat. Um eine Antwort auf diese Frage nach dem grundsätzlichen Wesen von Daten zu finden, lohnt es sich, einen Blick in die Geschichte des Datenmanagements zu werfen und – nicht nur sprichwörtlich – bei Adam und Eva anzufangen.
Daten als Grundlage des menschlichen Seins
Daten sind nichts Neues. Der Mensch ist von Anbeginn der Zeiten mit Daten und Informationen über seine Umwelt konfrontiert, auf die er allein aus Selbstschutz angemessen reagieren muss. Er ist dafür mit Werkzeugen ausgestattet, die ihm auf einfache Weise eine Messung wichtiger Daten aus seiner Umwelt und zudem das Ausarbeiten einer geeigneten Reaktion ermöglicht: Empfindet der Mensch über Rezeptoren in der Haut z.B. Kälte, begibt er sich in eine geschütztere Umgebung oder kleidet sich entsprechend.
Die richtige Interpretation der Daten führt dabei zu Vorteilen: der Mensch kann sich an seine Umwelt anpassen. Werden Daten dagegen nicht oder nur lückenhaft ermittelt oder ist die folgende Umwandlung in Informationen falsch, sind schwerwiegende Nachteile denkbar. Dass zudem die bewusste Manipulation von Daten eine lange Historie hat, macht gerade auch die Vertreibung aus dem Paradies deutlich, die die Konsequenz irreführender Informationen und einer darauf basierenden unreflektierten Handlung ist.
Die Evolution hat also diejenigen Menschen begünstigt, die bessere Daten über die Umwelt sammeln können und die daraus durch Einordnung in den Kontext wertvolle Informationen und Wissen generieren konnten. Getrieben von dieser evolutorischen Notwendigkeit hat der Mensch begonnen, die Welt zu erkunden. Informationen (und Konflikte) über bessere Jagdgründe oder Siedlungsbedingungen erklären einen großen Teil der Menschheitsgeschichte. Über die Interpretation von Daten und über unterschiedliche Modelle wurde dabei zum Teil heftig gestritten.
Die Vermessung der Welt
Mit Beginn der Renaissance wurde ausgehend von einem Modell der Erde als Kugel die Erforschung der Welt vorangetrieben. Die Rückbesinnung auf Erkenntnisse der Antike wurde um neue Beobachtungen ergänzt. Daten wurden systematisch aufgezeichnet und bildeten z.B. als Land- und Seekarten die Basis für weitere Erkundungen. Eine immer weitergehende Exploration und das Teilen von Informationen führten zu großen Fortschritten.
Die großen Entdecker wie Christoph Kolumbus, Vasco da Gama oder Ferdinand Magellan sammelten auf ihren Reisen auch jede Menge Daten: Neue Kontinente wurden entdeckt und Seerouten in ferne Länder wurden erforscht. Die zielgerichtete Suche nach Daten und deren modellgestützte Interpretation war hierbei ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg.
Dass die Interpretation der gesammelten Daten und die richtige Einordnung aber nicht immer trivial ist, zeigt wiederum das Beispiel von Christoph Kolumbus, der der Meinung war, einen Seeweg nach Indien entdeckt zu haben. Dass es sich um einen in Europa bis dahin unbekannten Kontinent handelt, erkannte erst Amerigo Vespucci, der weite Teile der Ostküste Südamerikas erforscht hat.2
Ziel der verschiedenen Forschungsreisen und der dabei neu gewonnenen Daten waren in erster Linie kommerzielle Zwecke, z.B. der Handel in Gewürzen. Diese kommerzielle Ausbeutung der Daten war allerdings auch höchst politisch, und der Wettlauf der europäischen Großmächte zur Gründung von fernen Kolonien war die Folge bei der Ausbeutung dieser Daten. Gerade am Beispiel der Kolonialisierung zeigt sich aber auch, dass die Normen über die Nutzung von Daten sich im Zeitablauf deutlich ändern können. Was damals in keiner Weise in Frage gestellt wurde, wird heutzutage sehr kritisch gesehen.3
Das Wesen der Daten ändert sich
Auch wenn neue Kontinente auf der Erde wohl nicht mehr zu entdecken sind und die geographische Erfassung unserer Welt als weitgehend abgeschlossen bezeichnet werden kann, steigt die Bedeutung des Datenmanagements weiter an. Dies erfolgt entlang von drei miteinander verbundenen Entwicklungen.
Zum einen steigt die Menge der nutzbaren Daten rapide. Fortschritte in der Technologie der Datenspeicherung und -verarbeitung führen dazu, dass wir z.B. mit Hilfe von Satelliten zur Datenmessung und immer anspruchsvolleren Modellen komplexe Phänomene wie Wetter und Klima zunehmend genauer prognostizieren können.
Zum anderen steigt die Vernetzung der Daten. Bisher unabhängig voneinander erhobene Daten werden aus ihrer analogen Isolation gerissen und zunehmend digitalisiert. Standardisierte Datenschemata und offene Schnittstellen erlauben es, Daten aus verschiedenen Gebieten miteinander zu kombinieren.
Zum dritten treten zu den naturwissenschaftlichen Daten, die Grundlage für Entdeckungen und Erforschungen unserer Umwelt sind, in den letzten Jahren zunehmend auch sozio-kulturelle Daten. Damit tritt die Interaktion zwischen Menschen und deren Verhalten in den Vordergrund. Haben sich die europäischen Großmächte zu Beginn der Neuzeit die neu erforschte Welt noch durch ihre Kolonien aufgeteilt, sind es nunmehr die großen Internetkonzerne, die sich die Welt der sozio-kulturellen Daten in ihren Ökosystemen aufteilen wollen und die den Economist zu der eingangs erwähnten Forderung nach dem Setzen von Spielregeln in dieser neuen Ökonomie gebracht haben.
Diese drei Entwicklungen – Zunahme der Datenmenge, Vernetzung der Daten und Ausweitung auf sozio-kulturelle Daten – werden das Datenmanagement auf absehbare Zukunft prägen: Wie große Mengen unstrukturierter und scheinbar unverbundener Daten doch sinnvoll miteinander verknüpft werden können, wird heute unter dem Stichwort Big Data erforscht. Dabei wird zunehmend auch auf künstliche Intelligenz zurückgegriffen, um Erkenntnisse und Nutzen aus diesen Daten zu ziehen. Zugleich sind diese neuen Methoden in den Geschäftsmodellen, Strategien und Governance-Mechanismen der Unternehmen zu verankern. Es entstehen mit Data Engineers und Data Scientists neue Berufsbilder, die auch in der Finanzdienstleistungsindustrie auf der Suche nach möglicherweise neuen Ertragsquellen zunehmend zum Einsatz kommen. Und nicht zuletzt müssen die verwendeten Daten auch sicher und verlässlich sein, damit keine irreführenden Schlussfolgerungen gezogen werden. Das Wesen des Datenmanagements ändert sich, und ein neues terra incognita, diesmal vor allem im sozio-kulturellen Bereich, lädt zu Entdeckungen ein.
Fazit und Ausblick
m Abschluss dieses Auftaktbeitrags sollen thesenartig einige Aspekte festgehalten werden, die aus unserer Sicht wesentlich bei der Beschäftigung mit dem Thema Datenmanagement sind:
- Daten sind eine wesentliche Triebfeder des Menschen: Die Suche nach Daten, deren Einordnung und das Ableiten entsprechender Handlungen ist tief in uns verwurzelt.
- Daten können höchst politisch sein: Die aktuelle Debatte um Fake News zeigt wieder einmal die Macht der Daten und die möglicherweise verheerenden Folgen, die durch eine bewusste Manipulation entstehen können.
- Daten bedürfen der Einordnung: Erst ein gutes Modell oder eine entsprechende Theorie erlauben es, die richtigen Fragen zu stellen, weitere Daten zur Verifikation zu erheben und schließlich die richtigen Aktionen daraus zu ziehen.
- Daten sind dann wertvoll, wenn sie aufbereitet werden: Eine Einordnung in den jeweils relevanten Kontext oder eine gute Visualisierung von Daten ermöglichen es auch anderen als den Experten die Daten zu nutzen und die richtigen Aktionen abzuleiten.
- Daten unterliegen gesellschaftlichen Normen: Unsere Wertvorstellungen ändern sich, und gerade bei der zunehmenden Nutzung der persönlichen und sozio-kulturellen Daten sind wir als Gesellschaft noch auf der Suche, was zulässig sein soll.
- Daten sind schützenswert: Geschäftsmodelle, die auf Daten aufbauen, können nur durch Verlässlichkeit der Daten und durch den glaubwürdigen Ausschluss von Manipulationsmöglichkeiten Akzeptanz erlangen.
Eurogroup Consulting wird diese und weitere interessante Themen in zukünftigen Beiträgen im DataNavigator aufgreifen, um zum einen unsere Erfahrungen weiterzugeben und zum anderen den Lesern entsprechende Denkanstöße zu liefern. Wir freuen uns auf die Diskussion mit Ihnen!
- Vgl. The Economist, 06.05.2017 ↩︎
- Eine frühe, in Abbildung 1 dargestellte Visualisierung erfolgte durch den Kartographen Waldseemüller. Quelle: http://www.astro-digital.com/11/cielosur3.jpg ↩︎
- Vgl. z.B. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.07.2020, die die geplante Unterlassung der Sanierung des Hamburger Bismarck-Monuments aufgrund dessen vorgeblicher Wegbereitung des deutschen Kolonialismus kommentiert. ↩︎