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Mario Kubik

Die „Blockchain-Strategie“ der Bundesregierung betrachtet die Distributed Ledger Technology (DLT) als eine der wesentlichen Zukunftstechnologien und möchte Deutschland als einen der Vorreiter in Europa in diesem Thema etablieren. Durch dieses Strategiepapier erhielt der bereits bestehende Blockchain-Hype zusätzliche Dynamik. Unter Blockchain versteht man ein öffentliches, dezentral geführtes Buch, das fälschungssicher und lückenlos ist. Blockchain kann im Geschäftsverkehr helfen Transaktionen, Lieferketten (z.B. Transport, Pharma, Lebens­mittel) oder Vermögensüberträge lückenlos zu dokumentieren. Blockchain ist lediglich eine von vielen möglichen Ausprägungen der Distributed Ledger Technology. Grund genug für EGC dieses Thema einmal etwas genauer zu betrachten.

Geschichte der Distributed Ledger Technology

Vor ca. 30 Jahren entstand eine Technologie (dezentrale Datenspeicherung und Bildung von Datenblocks), die mit ihrer Grundidee ihrer Zeit weit voraus war. Dieser Ansatz konnte sich in Ermangelung umsetzungsfähiger Anwendungsfälle nie wirklich gegen etablierte zentrale Datenbanksysteme und die vorherrschenden Unternehmensstrategien (Silodenken und Daten­hoheit) durchsetzen. Erst als 2008 ein bis heute unbekannt gebliebener Autor bzw. eine Autorengruppe unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto ein Forschungspapier über Krypto­währung auf Basis der technologischen Grundidee veröffentlichte, wurde ersichtlich, was hinter der Blockchain-Technologie stand und welche Auswirkungen sich daraus ergeben könnten. Was zunächst nach einem exklusiven Bedürfnis von Regierungskritikern, Dissidenten und Kriminellen aussah (dezentral, anonym, selbstreguliert), zieht inzwischen viele in den Bann.

2009 ging die Kryptowährung „Bitcoin“ als erster Anwendungsfall mit DLT online und so wurde der Begriff Blockchain, als Synonym für DLT etabliert. Damit begann auch eine heftige Diskussion über Zweck und Nutzen der Technologie. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf den Kryptowährungen und deren missbräuchlichen Verwendungen wie z.B. Geldwäsche, Waffen-handel, Betrug oder Steuerhinterziehung. Hier etablierten sich nach Bitcoin weitere techno­logische Lösungen wie Ethereum auf Basis der Blockchain-Architektur. Erst Ende 2015 begann die Europäische Kapitalmarktaufsicht ESMA sich öffentlich auch mit den Grundsätzen der Technologie auseinanderzusetzen (Sondierung zum Thema DLT).

Wichtige Meilensteine der Distributed Ledger Technology
Abbildung 1 – Wichtige Meilensteine der Distributed Ledger Technology

Ab dem Jahr 2016 wurde durch das Start-Up R3 (Corda) der Smart Contract Ansatz mit integriert und erweiterte so die möglichen Anwendungsgebiete. Parallel wurden durch IOTA (Directed Acyclic Graphs) und Hedera Hashgraph (Hashgraph) weitere Architekturansätze einer DLT im Markt eingeführt. Diese basierten nicht mehr auf dem reinen Blockchain-Ansatz und hatten auch andere Anwendungsfälle wie Vertragsmanagement, Registerführung oder IoT-Trans-aktionen im Fokus. Durch die Hyperledger Fabric und deren Open Source-Ansatz entstand dann der richtige Hype um das Thema DLT.

Mit diesen Erkenntnissen wurde nun einigen Unternehmen das Potenzial und die strategische Relevanz der Technologie für ihr Geschäftsmodell bewusst. In einem hypothetischen Szenario, in dem die DLT etabliert ist, stellt es ein enormes Effizienz- und Disruptionspotenzial dar, ermöglicht neue innovative Geschäftsmodelle und stellt wiederum bestehende in Frage. In der Folge wäre ein Marktumbruch denkbar. Nachdem erste Länder wie Liechtenstein und die Schweiz Gesetzesänderungen in Richtung der DLT initiierten, hat 2019 die Bundesregierung von 158 Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertretern von Organisationen Stellungnahmen zum Thema DLT eingeholt und in ihr Strategiepapier einfließen lassen. Besonders die Coronakrise hat den digitalen Wandel beschleunigt, und weltweit sprießen Forschungsinstitute, Studiengänge, Investmentfonds und Blockchain-Firmen aus dem Boden. Aus regulatorischer Sicht werden mit der 5. Geldwäscherichtlinie (AMLD5), der Vorbereitung eines deutschen Gesetzes für elektronische Wertpapiere (eWpG) und den Vorschlägen für die EU-Verordnung MiCA (Markets in Crypto Assets) sowie einer Pilotregelung für Marktinfrastrukturen auf der Grundlage der DLT, neue regulatorische Grundlagen geschaffen.

Eigenschaften und Potenziale einer DLT

Was sind die Eigenschaften einer DLT, und warum eignen sie sich zur Lösung von vielen strukturierten Aufgaben?

Zentrale Datenbanken bieten ähnliche Optionen wie eine DLT und sind zurzeit noch kostengünstiger. Des Weiteren basieren aktuelle Geschäftsmodelle auf Basis zentraler Daten­banken. Aber auch diese Techniken haben Schwächen, wie Vertrauenswürdigkeit, aufwendige Konsensverfahren (mindestens 4-Augenprinzip), Einschränkungen durch Datenmodelle, Einschaltung Dritter als Intermediäre, redundante Datenhaltung oder aufwendige Schnitt­stellen.

Betrachten wir sehr vereinfacht dargestellt die Grundstruktur eines Handelsgeschäftes wie es seit hundert Jahren erfolgt: Es gibt einen Anbieter und einen Interessenten, die sich über den Handel einer Ware einig werden. Sowohl der Anbieter als auch der Käufer führen ihre eignen Handelsbücher. Über den Handel wird eine vertragliche Übereinkunft getroffen und die Bedingungen für den Austausch festgeschrieben. Dann wird die Ware durch den Anbieter geliefert und durch den Käufer geprüft und gezahlt. Was passiert in der heutigen Welt? Der Verkäufer und der Käufer kommen nur indirekt zusammen. Meist werden für das Geschäft ein oder mehrere Intermediäre eingeschaltet, die den Handel anbahnen, begleiten und die Regulierung überwachen. Beide Seiten nutzen eine Vertrauensperson, um die Risiken zu minimieren, wodurch aber die Kosten steigen und der Ertrag sinkt.

Bei Nutzung einer DLT wird ein gemeinsames Handelsbuch in der DLT geführt. Für die Aus­führung der Geschäfte ist kein Intermediär mehr notwendig, seine Aufgaben übernimmt die DLT und sie ersetzt durch das Konsensverfahren auch die Vertrauensperson. Wenn alle Bedingungen erfüllt sind, wird die Transaktion automatisch ausgeführt, in die Handelsbücher geschrieben und reguliert. Ein Datentransfer in außenstehende Buchungssysteme ist über standardisierte Schnittstellen möglich.

Der Vorteil einer DLT-Lösung liegt also genau darin, die komplexen Vorgänge weitestgehend zu verselbständigen, Instanzen im Prozess einzusparen, die Abwicklung dadurch zu beschleu­nigen (Realtime-Verarbeitung) und kostengünstiger zu machen. Die ersten Anwendungsfälle auf Basis der DLT haben bewiesen, dass dies möglich ist. Allerdings wurden auch die Herausforderungen schnell deutlich: Zugang zur DLT, Akzeptanz, Wirtschaftlichkeit und gesetzliche Rahmenbedingungen.

Erfolgreiche Anwendungsfälle auf Basis der DLT sind neben der Tokenisierung von Immobilien (das Verbriefen und Führen von nicht-amtlichen Eigentumsregistern), dem Crowdinvesting (Marktplatz für alternative Investments), Versicherungspolicen per Smart Contract (Fluggäste erhalten bereits automatisch eine Entschädigung bei Flugverspätungen, ohne dass der Fluggast tätig werden muss) auch soziologische und ökologische Themen.

Ausprägungen von DLT

Neben der klassischen Blockchain-Technologie haben sich die Directed Acyclic Graphs-Technologie (DAG) sowie die Hashgraph-Technologie als Ausprägungen etabliert. Die Einbindung von Systemen wie InterPlanetary File System ermöglicht es auch Dokumente mit einzubinden (eindeutige Kennungen werden im Block oder der Transaktion gespeichert) oder diese auszulesen, um die Daten zu nutzen. Smart Contracts ermöglicht, festdefinierte Prozessabläufe nach bestimmten Bedingungen zu starten und Transaktionen automatisiert auszuführen. Im Kontext von DLT können dadurch unter einer Transaktion auch Zustandsinformationen (z.B. Statusmeldung einer Lieferung) gespeichert werden. Die Trans­aktionen werden digital signiert, um sie in die DLT einzutragen. Die digitale Signatur kann von Personen, aber auch von anderen Teilnehmern im Netzwerk wie Fahrzeugen, Maschinen oder Barcode-Scannern erstellt werden. Diese basiert auf dem Public-Key-Infrastruktur-Verfahren (PKI) und ermöglicht, die Identität desjenigen Knotens festzustellen, der die Transaktion erstellt hat (z.B. Barcode-Scanner am Hamburger Hafen zur Bestätigung der Warenabnahme).

Oft handelt es sich um ein ganzes Ökosystem von DLT-Lösungen. Diesem liegt in der Regel ein quelloffenes Framework zu Grunde, welches die betreffende DLT als ein selbstwartendes, selbstheilendes Ereignisprotokoll ins Leben ruft. Diese technische Ebene bleibt den Nutzern allerdings verborgen. Für sie lassen sich die DLTs in eine der drei nachfolgenden Kategorien clustern:

  • Öffentliche DLT erlauben auch Teilnehmern ohne eine verifizierte Identität unein­geschränkten Zugang zu der gebotenen Funktionalität (anonymisiert/pseudonymisiert). Um Missbrauch zu verhindern, kommen verschiedene Mechanismen der Konsensbildung in Kombination mit wirtschaftlichen Anreizen (wie das Mining einer Kryptowährung) zum Einsatz.
  • Private DLT beschränken den Zugang auf eine Gruppe berechtigter und bekannter Identitäten unter der Kontrolle einer einzelnen Organisation. Typische Einsatzgebiete umfassen das Dokumentenmanagement, die Nachverfolgung von Forschungs-ergebnissen, Vertragsmanagement oder die Verbriefung von speziellen Forderungen (z.B. Schuldscheindarlehen). Hier wird in der Konsensbildung oft auf den wirtschaftlichen Anreiz verzichtet.
  • Konsortium-kontrollierte DLT bilden eine Mischform aus privaten und öffentlichen DLTs. Diese hybriden Lösungen beschränken den privilegierten Zugang zu dem gemeinsamen Ledger auf eine Gruppe berechtigter, bekannter Identitäten, doch anders als private DLTs befinden sie sich nicht unter der Kontrolle einer einzelnen Organisation, sondern einer Gruppe föderierter Unternehmen. So steigern sie das Vertrauen in die Fairness des Systems. Auch hier wird in der Konsensbildung oft auf den wirtschaftlichen Anreiz verzichtet.

Eine weitere Unterscheidung kann in den Restriktionen einer DLT liegen. Man unterscheidet hier zwischen genehmigungsfreien und genehmigungspflichtigen DLTs. Während genehmigungs­freie DLT jedem Teilnehmer sowohl Lese- als auch Schreibrechte zugestehen, werden diese in genehmigungspflichtigen DLTs durch den Initiator eingeschränkt.

Grundlage des verteilten Ansatzes sowie des Konsensverfahrens

Eine DLT-Infrastruktur basiert also auf einem Netzwerk von Computern, auch als Knoten bezeichnet, die nach dem Peer-to-peer-Modell verbunden sind. Die Gestalt der Vernetzung der Computer (Topologie) ist nicht vorgegeben, alle sind gleichberechtigt. Insbesondere ist es nicht notwendig, dass alle Knoten untereinander verbunden sind. Im Rahmen eines privaten Netzwerkes kann es aber auch vorkommen, dass alle Teilnehmer nur einen Computer, aber unterschiedliche Instanzen nutzen.

Die Speicherung und das Management von Daten in Form von Transaktionen in der DLT unterscheidet sich grundlegend von einer herkömmlichen Datenbank. Bei der Blockchain wird eine bestimmte Anzahl von Transaktionen in einem Block zusammengefasst. Die Blöcke werden kryptografisch verkettet und bilden das dezentral geführte Kontenbuch (DL), das von jedem DLT-Knoten gespeichert wird. Bei DAG oder Hashgraph wird kein Block gebildet, sondern die neuen Transaktionen setzen auf älteren Transaktionen auf, was durch einen Algorithmus ausgewählt wird.

Trade-off zwischen Vertrauen und Effizienz
Abbildung 2 – Trade-off zwischen Vertrauen und Effizienz

Die Konsensfindung zur Bestätigung von Transaktionen trägt entscheidend zur Vertrauenswürdigkeit der DLT bei. Je nach Art der DLT können unterschiedliche Konsens­verfahren (vgl. Abbildung 2) zur Übereinkunft oder Genehmigung von Transaktionen Verwendung finden. Je höher der Grad der Offenheit, umso sicherer sind die Konsensverfahren und umso niedriger ist die mögliche Anzahl an Transaktionen pro Sekunde – bei Blockchain bis zu 1.000 und bei DAG/Hashgraph bis zu 250.000.

Anwendungsgebiete einer DLT

Diese Technologie bietet sich also für eine Vielzahl von Anwendungsfällen an, in denen großer Wert auf Sicherheit, Unveränderbarkeit, dezentrale Regulierung, Netzwerk-Kommunikation, Realtime-Verarbeitung und die Automatisierung von dezentralen Prozessen gelegt wird. Durch ihre Eigenschaft, Daten unveränderlich aufzuzeichnen, hat die DLT-Blockchain für den Umweltschutz ein besonders großes Potenzial. Aktuell wird sie bereits genutzt, um weltweit Daten über die natürliche Umwelt aufzuzeichnen, Veränderungen in Ökosystemen zu erfassen und die Nachhaltigkeit zu steigern. Die EU hat nun auch die Finanzbranche im Rahmen des „Green Deal 2050“ in die Pflicht genommen, den Nachweis ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeit als Bestandteil von Finanzprodukten und Unternehmensbewertungen zu berücksichtigen (Sustainable Finance). Auch hier kann die Blockchain eine wesentliche Rolle zur Einhaltung der regulatorischen Vorgaben spielen.

Aufgrund ihres höheren Datendurchsatzes pro Sekunde eignet sich die DLT-DAG und Hashgraph besonders für IoT-Anwendungen wie z.B. Stromzähler und Abrechnungen. Die DLT eignet sich auch als Kern einer Plattform sowie zur Übernahme von Supportfunktionen in einer Plattformarchitektur. Sofern die gesetzlichen Rahmen in Deutschland dies künftig zulassen, sind weitere Arten der Verbriefung und Verwahrung von Vermögenswerten möglich. Allerdings ist diese Technologie nicht endlos skalierbar und der Energieverbrauch ist nach wie vor höher als bei zentralen Datenbanken. Um das Problem des personenbezogenen Datenschutzes (unveränderbare Daten und Transaktionen) für den europäischen Raum zu entschärfen, arbeitet die EU derzeit an der Digital Identity mit DLT, ursprünglich bekannt unter dem ideologisch umstrittenen Namen „Self-Sovereign Identity“. Wie ein Schutzschild für Informationen könnte eine solche digitale Identität wieder Anonymität im Netz erlauben und die Möglichkeit für eine neue Art von Clearinghäusern speziell für Daten bieten.

Fazit

Hat die DLT also das Potenzial zur Zukunftstechnologie? Wir von EGC sind der Meinung, die Distributed Ledger Technology ist bereits eine der Zukunftstechnologien.  Sie ist eine perfekte technologische Ergänzung oder sogar die Basis für neue Prozess- und Geschäftsmodelle. Die derzeitigen Nachteile wie Stromverbrauch, langsame Transaktionszeiten und unklare DSGV-Konformität werden perspektivisch verschwinden. Noch kann nicht jeder Anwendungsfall umgesetzt werden. Deshalb ist es wichtig, nicht mit dem Komplexesten zu starten, sondern mit dem Vernünftigsten.

Nach unseren Erfahrungen sollten sowohl die Automatisierungspotenziale in den bestehenden Geschäftsprozessen identifiziert und bewertet als auch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auf Basis der DLT-Möglichkeiten geprüft werden. Wichtig ist es hierbei die Abstimmung zwischen fachlicher und technischer Seite zu moderieren, da die Selektion und Auswahl sowie Überprüfung einer Umsetzbarkeit der Schlüssel sind. Im Rahmen unseres EGC-Industrialisierungsansatzes prüfen wir daher gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern, ob bestehende Wertschöpfungsketten und Wertschöpfungsnetzwerke in Kombination mit weiteren Technologien zu automatisieren sind und Kostenpotenziale gehoben werden können.

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