OKR-Zielsysteme

Ihr Ansprechpartner

Jörg Schnabel

In dieser Ausgabe von „Zur Sache!“ gehen wir der Frage auf den Grund, ob OKRs (Objectives and Key Results) die Finanzdienstleistungsbranche mit ihren historisch gewachsenen Strukturen wirklich revolutionieren können – oder ob sie nur ein weiteres Managementinstrument sind, das nicht hält, was es verspricht. Simon Wilmerding spricht dazu mit Jörg Schnabel, Gründer von EGC und Transformationsexperte für IT-Organisationen im Finanzdienstleistungssektor.

Willkommen bei „Zur Sache!“, Jörg.

In einer Branche, die traditionell für ihre Hierarchien, historisch gewachsenen Strukturen und starke Regulatorik bekannt ist, scheinen OKRs eine fast schon radikale, aber notwendige Lösung in der Unternehmens- und Mitarbeiterführung zu bieten. Können OKR-Zielsysteme die Herausforderungen rund um Digitalisierung, Regulatorik und veränderte Marktanforderungen lösen?

Jörg: In der Theorie liefern OKRs nicht nur klare Ziele und messbare Ergebnisse, sondern fördern auch eine Kultur der Identifizierung und Agilität. Richtig angewandt zwingen sie Unternehmen dazu, sich kontinuierlich zu hinterfragen und anzupassen. OKRs können eine Struktur bieten, die Innovation und Wachstum vorantreibt. In einer Branche, die von schwankenden Marktbedingungen sowie sich verändernden Anforderungen durch Kunden und Regulatorik geprägt ist, kann das ein sehr effektives Werkzeug sein. Wie bei allen Methoden ist jedoch die richtige Implementierung und Anwendung die größte Herausforderung.

Das klingt spannend! Könntest Du für unsere Leserinnen und Leser, die noch neu im Thema OKR sind, kurz erklären, welche Bausteine OKR-Zielsysteme ausmachen und warum diese so effektiv sind?

Jörg: Wie der Name schon sagt, setzen sich OKR-Zielsysteme im Wesentlichen aus Objectives und Key Results zusammen. Objectives beschreiben die eigentlichen Ziele im Sinne von „Was will ich erreichen?“ und werden durch Key Results unterlegt. Key Results beschreiben das „Wie will ich das jeweilige Ziel erreichen?“. Objectives sollten prägnant und motivierend formuliert werden, während Key Results über Meilensteine bzw. KPIs konkret messbar sein müssen.

Ein OKR-System beschreibt also die strategischen Ziele eines Unternehmens?

Jörg: Korrekt. Nur die Verbindung der OKRs mit den tatsächlichen strategischen Zielen des Unternehmens entfaltet die volle Kraft. Ein zeitlicher Horizont von 2-3 Jahren ist hier ein guter Orientierungspunkt. Diese Unternehmensziele können auf Bereichs- und Teamebene heruntergebrochen werden. Wichtig ist, dass ein OKR-System nicht starr implementiert wird, sondern regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst wird. Über ein sogenanntes Messsystem, das die einzelnen Key Results abbildet, wird die Zielerreichung kontinuierlich überprüft und bewertet. In dieser Messbarkeit und regelmäßigen Überprüfung liegt eine zentrale Stärke des OKR-Systems. So kann auf verschiedenen Ebenen im Unternehmen überprüft werden, ob man sich auf dem richtigen Weg zur Zielerreichung befindet oder gegebenenfalls anpassen muss.

„Nur die Verbindung der OKRs mit den tatsächlichen strategischen Zielen entfaltet die volle Kraft.“

Eine weitere Stärke liegt in der breiten Einbindung der Organisation bzw. der Belegschaft, indem gut verständliche Ziele formuliert und bis auf Teamebene heruntergebrochen werden. Dieses Herunterbrechen bietet die Basis für eine hohe Identifizierung jedes einzelnen Teammitglieds mit den Zielen und fördert Verantwortungsbewusstsein und Motivation.

Du hattest erwähnt, dass die Implementierung von OKR-Zielsystemen eine der größten Herausforderungen darstellt. Wie sollte ein Unternehmen den Einstieg in diesen Prozess gestalten?

Jörg: Um in diesem Maße von den Vorteilen profitieren zu können, muss mit der Implementierung des OKR-Systems ein kultureller und struktureller Wandel einhergehen. Ziele werden nicht mehr wie bisher meist Top-down vorgegeben, sondern gemeinsam über verschiedene Hierarchieebenen und Abteilungsgrenzen hinweg erarbeitet. Diese gemeinsame Erarbeitung setzt ein iteratives Vorgehen voraus, in dem der Reifegrad der Objectives und Key Results hinsichtlich Formulierung, Ausgestaltung und Messbarkeit schrittweise erhöht wird. Genau diese gemeinsame Ausgestaltung, das „Ringen“ um gemeinsame Ziele und Formulierungen sowie deren Umsetzbarkeit, stellt den eigentlichen Mehrwert der Methode dar. Die Implementierung eines OKR-Systems sollte daher als Lernpfad und Mobilisierungsfaktor für die Organisation verstanden werden, der sich stetig fortsetzt.

Wie genau erfolgt eine Verteilung der Objectives innerhalb der Organisation?

Jörg: Generell halten wir bei EGC nichts davon, Methoden starr über eine Organisation zu stülpen, weshalb es für uns nicht die eine Form der Verteilung gibt. Es ist stark von der Organisationsstruktur des jeweiligen Unternehmens abhängig. Klassisch erfolgt die Verteilung entlang der Organisationsstrukturen, sprich Unternehmensziele werden auf Bereichs-, Abteilungs- und Teamebene heruntergebrochen. Dadurch ist sichergestellt, dass die gesamte Organisation und möglichst viele Mitarbeitende involviert werden und jeder weiß, was er zur Erreichung der strategischen Ziele beitragen kann. Bei eigentlichen Zielfestlegungen orientieren wir uns an der 40/60-Verteilung. Das bedeutet, 40% der Ziele sollten top-down und 60% bottom-up festgelegt werden. Diese Verteilung bietet einerseits genügend Struktur dadurch, dass top-down Orientierung geboten wird. Andererseits wird die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden weiter gefördert, indem der Hauptteil der Ziele durch die Teams selbst definiert wird.

Eine bewährte Alternative zur strukturorientierten Verteilung ist eine Verteilung nach Themen oder anderen Gestaltungsdimensionen. Der Vorteil dieser Alternative liegt darin, dass Organisationsstrukturen aufgebrochen werden und der interdisziplinäre Austausch gefördert wird. Dabei gilt es zu beachten, dass die Aufteilung weiterhin der Erreichung der strategischen Ziele dient und die Führungsebenen möglichst ausgeglichen in die Verteilung eingebunden werden.

Insbesondere die Verteilung der Objectives anhand von Technologien scheint mir eine Möglichkeit zu sein, Verantwortlichkeiten und Zielsetzung in der IT effektiv zu bündeln. Auf der anderen Seite erfordert dies eine ganzheitliche Betrachtung, bei der man sich nicht „einfach“ an der Organisationsstruktur orientieren kann. Unsere Leserinnen und Leser interessiert daher sicher, was aus Deiner Sicht der wichtigste Erfolgsfaktor bei der Einführung ist.

Jörg: Entscheidend bei der Einführung von OKR-Zielsystemen ist die Bereitschaft der Unternehmensführung, den Mitarbeitenden Raum zum Lernen und zur Anpassung zu geben. Das bedeutet, dass es notwendig sein kann, die Key Results – also das „Wie“ – während des Prozesses anzupassen, wenn klar wird, dass die aktuellen Maßnahmen nicht wie erwartet zur Zielerreichung beitragen. Die Objectives – das „Was“ – bleiben dabei konstant. Wichtig ist, diese Anpassungen, insbesondere in der Anfangsphase, als integralen Bestandteil des Lernprozesses zu kommunizieren und nicht als Fehler zu betrachten. Im Gegenteil: Wenn sich Mitarbeitende intensiv mit ihren OKRs auseinandersetzen und Verantwortung übernehmen, ist das bereits ein enormer Gewinn und oft ein bedeutender Fortschritt im Vergleich zu bisherigen Strukturen.

Da können Dir viele unserer Leserinnen und Leser bestimmt zustimmen. Insbesondere im agilen Kontext haben viele jedoch die Erfahrung gemacht, dass Fortschritte und Entwicklungen – trotzdem – gemessen werden müssen, letztlich auch, um die Aufwände gegenüber den Stakeholdern rechtfertigen zu können. Wie kann Deiner Erfahrung nach der OKR-Fortschritt am besten gemessen werden?

Jörg: Absolut! Die regelmäßige Messung, Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung des OKR-Systems ist daher ein zentraler Erfolgsfaktor. Um das OKR-System weiterzuentwickeln und regelmäßig an die Gegebenheiten in der Organisation anzupassen, müssen Erfolge und Fortschritte transparent gemacht werden. Das macht die Stakeholder zufrieden und ermöglicht den OKR-Verantwortlichen, an den richtigen Stellschrauben zu drehen.

Und wie gelingt das?

Jörg: Hierzu sind die Key Results so auszugestalten, dass sie regelmäßig und einfach gemessen werden können und man den Fortschritt zur Erreichung der Ziele, sozusagen den Gesundheitszustand des Systems, über den Zeitverlauf bewerten kann. Die Messung erfolgt entweder über definierte KPIs wie z. B. Durchlaufzeiten von Prozessen, Antwortzeiten, etc. oder über die Festlegung von Meilensteinen, zu denen ein konkretes Ergebnis erreicht werden soll. Bei meilensteinbasierten Key Results erweist es sich als hilfreich, diese mit Zwischenergebnissen und Check-Points zu unterlegen, um den Fortschritt abzuleiten.
Zielführend ist es, das Messsystem grafisch in Form eines Cockpits aufzubauen, um Lücken im Vergleich zu den gesetzten Zielen zu visualisieren. Die Visualisierung ist nicht zu unterschätzen: Eine gute Visualisierung fördert das Verständnis im Management und die Motivation der Mitarbeitenden.

Welche Erfahrung hast Du gemacht, wie regelmäßig sollten die Messungen stattfinden, um eine effektive Steuerung zu ermöglichen?

Jörg: Wir haben gute Erfahrungen mit der quartalsweisen Überprüfung und Berichterstattung gemacht. Wichtig dabei ist, dass OKR-Zielsysteme die bestehenden Ziele und Fortschritte in der Berichterstattung nicht ersetzen. Das hätte im schlimmsten Fall zur Folge, dass bestehende Zielsetzungen und Erfolge gestrichen werden und nicht mehr sichtbar sind. Vielmehr sollte das OKR-System die vorhandenen Ziele begleiten und sicherstellen, dass bisherige Erfolge nicht übersehen werden. Auch deshalb ist eine iterative Einführung so wichtig.

Vielen Dank für die interessanten Einblicke, Jörg! Anhand dessen, was Du erläutert hast, ist es aus meiner Sicht entscheidend, dass OKRs integrativ in die bestehende Unternehmenskultur eingebettet werden sollten und in keinem Fall der Eindruck entstehen darf, dass diese verdrängt werden. Nur so kann eine nachhaltige Mobilisierung der Menschen in der Organisation bewirkt werden. So dass OKR-Zielsysteme eben nicht als vorübergehender Management-Trend enden.

„Bei EGC nennen wir das die Kunst der Mobilisierung!“

Abschließend: Welche kulturellen Veränderungen können Unternehmen erwarten, wenn Sie OKR-Zielsysteme einsetzen?

Jörg: Die kulturelle Integration ist, wie bei vielen Transformationsvorhaben, eine der größten Herausforderungen – und gleichzeitig der wichtigste Erfolgsfaktor. Für mich persönlich ist es zudem auch das größte Erfolgserlebnis, wenn diese Integration gelingt. Bei EGC nennen wir das „die Kunst der Mobilisierung“. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür habe ich bei der OKR-Implementierung bei einem unserer Kunden im Bereich Vermögensverwaltung erlebt. Stell Dir vor, Abteilungen aus IT und Fachbereichen, die traditionell in Silos arbeiten, beginnen plötzlich offen miteinander über gemeinsame Ziele zu kommunizieren. Das lag unter anderem daran, dass die Mitarbeitenden endlich sehen konnten, wie ihre täglichen Aufgaben direkt zu den übergeordneten Zielen des Unternehmens beitragen und welchen Unterschied sie machen. An diesem abteilungsübergreifenden Austausch hat sich die Organisation im weiteren Verlauf super weiterentwickelt. Das motiviert! Und es ist ein gutes Beispiel für die transformative Kraft der Mobilisierung von Organisationen und Menschen.

Ein Highlight, das wohl jeder nachvollziehen kann. Nochmals besten Dank für Deine Zeit und Deine Expertise!

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